An der Sorbonne in Paris machte sie 2004 ihren Master in Philosophie und Bachelor in Jura, an der Columbia University in New York 2005 ihren Master und 2009 ihren Doktor der Rechte, seit 2012 ist Mathilde Cohen Juraprofessorin an der University of Connecticut in Hartford. Ihre Schwerpunkte: Verfassungsrecht, Lebensmittelrecht und -politik, Gerichte und Urteilsbildung, US-Recht und Rechtsinstitutionen. Letztes Jahr überraschte sie im Rahmen ihrer akademischen Publikationen mit einem Œuvre, das nicht jeder bei den Rechtswissenschaften einsortiert: „The Whiteness of French Food. Law, Race, and Eating Culture in France”, das in der von den Universitäten in New York und Harvard finanzierten Schriftenreihe French Politics, Culture & Society erschien. Über dieses Thema hatte sie zuvor schon in Workshops der Unis Paris, Atlanta und New York doziert.

Die philosophierende Juristin tischt ihrem Geburtsland schwere Kost auf: „Essen ist von grundlegender Bedeutung für die französische Identität, ebenso wie die Leugnung von strukturellem Rassismus und rassischer Identität. Da beide Grundsätze zentral für das Selbstverständnis der Nation sind, ist es umso wichtiger, sie gemeinsam zu bedenken. Die als Französisch bekannten Essgewohnheiten werden in einer Weise rassifiziert, die die Dominanz der Weißen verstärkt; die derzeitige Rechtsauffassung drängt rassische und ethnische Minderheiten in ihren Ernährungsgewohnheiten an den Rand, indem sie der weißen französischen Esskultur den Status einer privilegierten und gesetzlich geschützten Ernährung zuerkennt. Und international ist die anhaltende Hegemonie der französischen Küche als höchster Standard gegenüber allen anderen Küchen ein Aspekt des Kolonialismus in den Esskulturen der Neuen Welt.“

In ihrer Beweisführung argumentiert die Anklägerin beispielsweise, dass die im 19. Jahrhundert eingerichteten und mit „einem rassistischen und eugenischen Diskurs“ begründeten Schulkantinen „weiße und christliche Normen“ als Standards etabliert hätten oder dass die französische Staatsangehörigkeit auf der Grundlage von „weißen Verhaltensweisen“ verliehen worden wäre, zu denen auch Essgewohnheiten gehören. „Aßen die Postulanten Reis oder Brot? Haben sie auf dem Boden oder im Sitzen gegessen?“

Den meisten Lesern erging es wohl wie Virginia Blackburn vom Londoner Express: „Nein, ich habe nicht die leiseste Ahnung, wovon sie redet, und ich bin mir auch nicht sicher, ob sie das weiß, aber das ist kein Grund, diese mutige Kämpferin gegen die grausame Versklavung durch französisches Essen nicht ernst zu nehmen.“ Und tat es dann selbst nicht, sondern lenkte mit britischem Humor vom Thema ab: „Wir Briten sind aller möglichen ähnlichen Verbrechen schuldig. Dass Curry jetzt das Lieblingsgericht der Nation ist, ist offensichtlich ein Akt grober kultureller Aneignung. Auch Fish’n’chips ist überhaupt kein traditionell britisches Gericht: Seine Ursprünge liegen in der Gewohnheit portugiesischer und spanischen Juden, die sich im 16. Jahrhundert in England niederließen und am Freitag Fisch zum Abendessen frittierten.“

Auch das offizielle Frankreich ging nicht auf die aus der amerikanischen Woke-Szene gespeiste Forderung ein, wegen der Erbsünde des Weißseins und der daraus hergeleiteten Privilegien bzw. Diskriminierungen Buße zu tun. Wahrscheinlich repräsentativ für die französische Spitzengastronomie erklärte der Pariser Zweisternekoch Thierry Marx letzten Februar im Figaro, die von Madame Cohen gewünschten „Debatten würden Kontroversen hervorrufen, wo keine sind. Nur um Aufsehen zu erregen.“ Aber die Ministerin für Hochschulbildung, Frédérique Vidal, reagierte nach dem Artikel, denn Mathilde Cohen war mit den Thesen ihres Buchs auf einer Veranstaltung der staatlichen Forschungsorganisation CNRS (der sie mal angehörte) in den Räumen der Pariser Elitehochschule Sciences Po aufgetreten. Das hatte Erstaunen hervorgerufen, weshalb die Ministerin eine Klarstellung in Auftrag gab, was in der Forschung akademisch und was Aktivismus ist.

Die nächste Anklage, „dass die französische „Esskultur … das zentrale Mittel der rassischen und ethnischen Identitätsbildung durch Sklaverei, Kolonialismus und Einwanderung war“, ist vorprogrammiert. In einem US-finanzierten Kooperationsprojekt mit Philosophie-Professorin Hourya Bentouhami von der Universität Toulouse-II-Jean Jaurès will die Juristin Cohen erforschen, wie Gesetze, Richtlinien und Ideologien Essgewohnheiten prägen und Klasse, Geschlecht und Rasse in Frankreich und den Vereinigten Staaten definieren. Die Arbeiten ihrer Mitstreiterin zur politischen Philosophie und Phänomenologie konzentrieren sich u.a. „auf die sinnlichen Dynamiken von Rassifizierung und Geschlechterzuweisung“.

Cohens Thema könnte ein Dauerbrenner werden, denn Eugénie Bastié, Chefredakteurin eines Magazins für ganzheitliche Ökologie (Limite), sieht die Juristin in der Woke-Bewegung und warnt: „Der ‚erwachten‘ Ideologie ist schwerer entgegenzuwirken als dem Kommunismus.“

Foto: UConn Law