Wenn Dr. Oetker und andere Edelfedern der Nahrungsmittelindustrie ihre Rezepte anfertigen, haben sie ihre Fertigprodukte im Sinn, passionierte Kochbuchautoren bringen bei ihrer Arbeit auch Hintergründe, Historie und Hilfreiches mit ein, große Köche offenbaren in ihren Rezepten im Idealfall eine kulinarische Seele. Und was richtet die Künstliche Intelligenz an? Appetit auf die Antwort hatte diese Woche die Food-Redaktion der New York Times und ließ die KI ein Menü für den Höhepunkt des amerikanischen Geschmacks anrichten: Thanksgiving (am 24. November), dem Ehrentag von Truthahn und Kürbis. Die Journalisten gingen davon aus, dass Rezepte schreibende Menschen nicht jedes Rezept für die Puterfüllung im Internet lesen können, bevor sie ihre eigene Version entwickeln, oder nicht Tausende von Techniken auf der Suche nach dem besten Weg zur Kürbistortenkruste analysieren. Maschinen können es.

Die Foodies nutzten die von OpenAI, einem der weltweit ehrgeizigsten Labore für Artificial intelligence (finanziert von Elon Musk und Microsoft), entwickelte Technologie GPT-3. Sie analysiert digitalen Text (Bücher, Wikipedia-Artikel, Tweets, Chatprotokolle, Computerprogramme und sogar Rezepte), sie kann Milliarden unterschiedlicher Muster in der Art und Weise erkennen, wie Menschen Wörter, Zahlen und Symbole verbinden, und dieses Wissen dann nutzen, um eigene Inhalte zu erstellen – auch persönlich wirkende Rezepte fürs Thanksgiving-Menü?

Mark Chen, Research Scientist bei OpenAI, riet der NYT-Foodreporterin: Erzählen Sie dem System von sich selbst, Ihrem familiären Hintergrund, welche Geschmacksrichtungen Sie mögen, welche Zutaten Sie häufig verwenden. Je mehr Details Sie in der Eingabeaufforderung angeben, umso besser ist im Allgemeinen die Leistung des Modells. Die Journalistin tippte ein: „Ich komme ursprünglich aus Texas und bin in einem indisch-amerikanischen Haushalt aufgewachsen. Ich liebe scharfe Aromen, italienisches und thailändisches Essen und Desserts, die nicht zu süß sind. Einige Zutaten, mit denen ich häufig koche, sind Chaat Masala, Miso, Sojasauce, Kräuter und Tomatenmark.“ Dann bat sie: „Zeig mir ein Thanksgiving-Menü, das für mich zusammengestellt wurde.“

Als erstes Rezept kam der Vorspeisen-Vorschlag „Kürbis-Gewürz-Chaat“. Während das System weiterarbeitete, gab die Reporterin noch Zusatzwünsche ein: Zeig mir ein paar Desserts, die auf meine Geschmackspräferenzen zugeschnitten sind. Zeig mir ein nicht traditionelles Thanksgiving-Rezept. Zeig mir ein Rezept für Cranberry-Sauce, die nicht zu süß und ein wenig gewürzt ist.

Minuten später hatte die Bittstellerin ein viergängiges Menü, das ihr „sowohl plausibel als auch faszinierend erschien“: Kürbis-Gewürz-Chaat; grüne Bohnen-Salat mit Miso und Sesam; Naan-Füllung und Cranberry-Sauce zum gebratenen Truthahn mit Soja-Ingwer-Glasur; Kürbis-Gewürz-Kuchen mit Orangen-Frischkäse-Zuckerguss. Zu jedem Gericht eine Zutatenliste, dürftige Angaben zur Zubereitung und einleitende Notizen, die anhand der Eingaben persönlich klingen sollten (was sie auch taten, aber in schulkindhaftem Niveau). Einige der Zutatenlisten schienen fragwürdig, die Naan-Füllung erforderte 32 verschiedene Komponenten, darunter zwei Tassen Trockenfrüchte. Die meisten Rezepte enthielten verdächtig wenig Salz und Fett, den 5 ½ kg schweren gebratenen Truthahn sollte eine einzige Knoblauchzehe würzen und weder Butter noch Öl bräunen. Die Rezepte gaben keine Begründung für die Reihenfolge der Zutaten. (Details unter: www.nytimes.com/2022/11/04/dining/ai-thanksgiving-recipes.html?action=click&module=RelatedLinks&pgtype=Article). Zu den Rezepten generierte DALL-E, ebenfalls ein OpenAI-System, ein Bild jedes vorgeschlagenen Gerichts – allesamt appetitlich aussehend.

Das Testessen der Redaktion, die alles exakt wie vorgegeben gekocht hatte, erbrachte harsche Urteile: Der mit Koriander und Backgewürzen geschnürte Chaat sei ein Brei mit Grasgeschmack, der Bohnensalat wie die Cranberry-Sauce essbar, aber belanglos, der Truthahn trocken und geschmacklos, die Naan-Füllung (als Beilage zubereitet und serviert) wie ein Mix aus Chana Masala und Obstkuchen, die in eine Wirtshausschlägerei geraten wären, der Dessertkuchen fest und eher würzig als süß. Fazit: „Ich fühle nichts, wenn ich dieses Essen esse“ oder „Da steckt keine Seele dahinter.“ Das bestätigte auch die generelle Einschätzung der von der NYT kontaktierten Physikerin Dr. Janelle Shane, die an Flüssigkristallsystemen und -optiken arbeitet und sich bei ihrem KI-Hobby seit Jahren für deren Kochrezept-Anfänge interessiert: KI-generierte Gerichte glichen der Gleichförmigkeit und Beliebigkeit von modernen Hotelzimmern.

KÜRBISKUCHEN: KI-VERSION (L.), REAL

Fotos: New York Times