Morgen erscheint in Paris das Buch Der englische Schlüssel – Geopolitik der französischen Küche, das in der Methodik und Zielsetzung der ebenso erfolgreichen wie umstrittenen Londoner Hitparade World’s 50 Best Restaurants das Allheilmittel zur Wiederherstellung und Bewahrung der kulinarischen Weltherrschaft Frankreichs sieht. Autor Nicolas Chatenier, 50, ist eine schillernde Figur der Spitzengastronomie.

Der Absolvent der Pariser Elitehochschule Sciences Po gründete 2004 Peacefulchef als „erste Agentur, die sich auf das Management von Köchen spezialisiert“ (erste Kunden: Cyril Lignac. Olivier Rœllinger, Anne-Sophie Pic; Umsatz 2013: 823.000 €) sowie Notre Chère als Verein für „Vordenker und Akteure der Gastronomie, die den Wandel vorantreiben“ (darunter derzeit: Mauro Colagreco, Alain Ducasse, Pierre Gagnaire, Paul Pairet, Anne-Sophie Pic). 2012 veröffentlichte er die vielgelobten Mémoires de Chefs der Nouvelle cuisine-Ära und eröffnete in Paris das Restaurant Table Ronde für experimentierfreudige Küche. 2015 wurde er, als Anne-Sophie Pics Ehemann David Sinapian zum Präsidenten der Grandes Tables du Monde aufstieg, Generalsekretär dieser Vereinigung von 178 Spitzenrestaurants in 23 Ländern (Jahressalär 200.000 €, wofür er nach Ansicht seiner Nichtfreunde bislang nur das Logo veränderte) und erklomm in der 27-köpfigen 50Best-Academy den Sitz für Frankreich mit der Aufgabe, 40 Personen (Köche, Journalisten, Foodies), zusammenzubringen, die ihre nationalen und ausländischen Lieblingsrestaurants nennen und so die globale Hitliste bewirken. Chatenier, einer der wenigen Duzfreunde von Ducasse und mit der Köchin Manon Fleury (vom vegetarischen Restaurant Le Perchoir nahe des Friedhofs Père Lachaise) liiert, gilt Pariser Journalisten als französische Version von Rafael Ansón (Ex-Franco-Pressechef und Promoter der spanischen Küche) oder Claus Meyer (Promoter der Nordischen Küche und seines Noma).

Im neuen Buch beklagt er im Vorwort: „Sicherlich bleibt Frankreich eine sehr bedeutende Macht, aber die Augen der Welt sind nicht mehr hauptsächlich darauf gerichtet.“ Und kritisiert später, dass es Frankreich an sichtbaren Bemühungen mangelt, seine Gastronomie mit der gleichen politischen Vision und den gleichen wirtschaftlichen Mitteln zu fördern wie andere Nationen – und nennt die 3,5 Mio. € p.a., die Dänemark für die „Noma-isierung“ seiner Gastronomie berappte, oder fordert, dass Paris wie letztes Jahr Antwerpen die Präsentation der 50Best-Liste finanziert. Chatenier verweist auf Haute Couture und Mode sowie Unifrance als Verkäufer des französischen Films im Ausland und resümiert: „Die Lösung scheint uns die Bildung einer Organisation zur Förderung der französischen Küche zu sein, die es ermöglichen würde, die nationalen Bemühungen angesichts des weltweiten Wettbewerbs zu strukturieren“.

Die Grande Nation, so sein Fazit, solle „die von 50Best auferlegte Spielregel akzeptieren und folglich eine Kampagne innerhalb von 50Best führen, um die Position der französischen Köche zu verbessern“. Was der englische Schlüssel den Gästen erschließt, ist laut Chatenier „das Aufkommen einer emotionalen Küche, befreit von den Fesseln der Traditionen und des handwerklichen Ansatzes, regeneriert schließlich durch die künstlerische Freiheit“. Dieses Programm und die Tatsache, dass er auf seinen 101 Textseiten 51-mal Ferran Adrià erwähnt, wirken wie ein Appell, den handwerklichen Ansatz durch eine Ansammlung von Zusatzstoffen, Geschmacksverstärkern und Aromen mit Füllstoffen (Maltodextrin und IFT) zu ersetzen.

Davor warnte sogleich der Newsletter Pomelo, der das Buch als erster in Frankreich rezensierte: „In mehreren Lokalen, die es auf Platz 1 der 50Best geschafft haben (The Fat Duck in England, El Bulli in Spanien und Noma in Dänemark), wurden Dutzende oder sogar Hunderte von Menschen Opfer von Lebensmittelvergiftungen.“

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Als PS ein paar Schmankerl aus dem Buch: „An dem Abend, an dem Mauro Colagreco als Nummer 1 für 2019 eingestuft wurde, erhielt er alle 22 Sekunden eine Buchungsanfrage auf seiner Website. Das bedeutet, dass er innerhalb weniger Tage ein Reservoir an Buchungen von mindestens zwei Jahren im Voraus aufbauen konnte.“ – Einer der Wendepunkte des Einflussverlustes der französischen Gastronomie sei, dass Joël Robuchon im Juli 1996 Ferran Adrià als „seinen Erben und den besten Koch der Welt“ bezeichnete. – „2023 präsentiert der Michelin seinen Guide im Elsass gegen einen Beitrag von 390.000 €.“

Foto: facebook.com/nicolas.chatenier