Als er sich mit 72 in seiner neuen Wahlheimat am Vierwaldstättersee seine Sehnsucht nach einem eigenen Whisky erfüllen will, erschreckt ihn die Dauer des Reifeprozesses: „Wenn du mindestens zehn Jahre auf den ersten Whisky warten musst, bin ich steinalt, habe ich mir gedacht. Also habe ich überlegt, wie man das Ganze beschleunigen kann.“ Und der Chemiker Dr. Dolf Stockhausen ersinnt ein Schnellverfahren, wie sein Malt in ein bis drei Jahren so aromenreich wird wie der schottische in 15 bis 20 Reifejahren im Fass. Er schafft es, erklärt es nun mit einem kryptischen „Wir falten die Zeit“ und schiebt wenig Schmeichelhaftes nach: „Wir machen eigentlich nichts anderes als die Schotten und verwenden die gleichen Rohstoffe, aber wir haben ihren Prozess zu Ende gedacht.“ Mittels Physik und ohne Chemie.

Simpel gesagt: Die Schotten nutzen die Wände der Fässer, um den Whisky während des Reifeprozesses Bitteres und Scharfes an das Holz abgeben und Angenehmes wie Holzzucker und Vanillin aus ihm gewinnen zu lassen. Das bewirkt rund 75% des Geschmacks und der Güte. Diese Reife erfolgt im Zeitlupentempo, da sie vom Verhältnis der Oberfläche zum Rauminhalt abhängig ist und das Fass einer Kugel nahekommt, in der dieses Verhältnis am kleinsten ist.

Stockhausen vergrößert in seiner „feinteiligeren Geometrie“ die Berührungsfläche von Flüssigkeit und Holz durch kleine Holzchips. Die bedürfen einer aufwendigen Behandlung: Wasser reduziert deren Tannine, schonende Erhitzung über längere Zeit fördert die erwünschten Stoffe. Die Behutsamkeit bringt, was die Schotten mit ihrer Methode, Fässer 5 bis 7 Minuten lang bei 3000° auszuflämmen, nicht erreichen: viel Aroma. 2017 meldete er sein Verfahren beim Europäischen Patentamt an, das es nun schützte. Lizenznehmer dürfen es fortan nutzen.

Das nötige Kleingeld für die Verwirklichung seiner Schnapsidee hatte der gebürtigen Erfurter, der Deutschland als einer der 500 Reichsten grollend verließ, weil es „hoffnungslos sozialistisch“ ist, aus dem familieneigenen Chemieunternehmen. Dort gelang ihm als Produktentwickler jenes Granulat, das in Babywindeln die Flüssigkeit verarbeitet. Als die Familie gegen seinen Willen verkaufte, wucherte er klug mit seinem Anteil und fand nebenbei Muße zur Theater- und Opernkritik, in der er Katharina Wagner in Bayreuth prophezeite, die Festspiele würden an ihrem „dekonstruktiven Regietheater ersticken“.

Die nötige Infrastruktur für seine Whisky-Reformation bot ihm die Berner Destillerie Langatun. Deren Mitinhaber Christian Lauper, den Schweizer Rockfans als Rhythmusgitarristen der Band Krokus erinnern könnten, fand zwar „die ersten Resultate nicht trinkbar“, erkannte aber das Potential der Methode. Mittlerweile sind Stockhausen und Lauper Partner in ihrer High Spirits Holding AG (zu der auch Langatun gehört), die neben Whisky auch Rum und Gin im hauseigenen Schnellreifeverfahren altern lässt. Von den drei angebotenen Whiskys ihres Labels Seven Seals, die jeweils aus dreijährigem Destillat und folgender Schnellreife bestehen, bekam der Peated Single Malt Double Wood Finish in der jährlich erscheinenden Jim Murray’s Whisky Bible, die rund 4000 Produkte bewertet, auf Anhieb von maximal 100 Punkten 94,5. Preis: 62,90 €.

Setzt sich Stockhausens Verfahren durch, löst es auch ein den Schotten drohendes Problem. Die dort traditionell genutzten Bourbon-Fässer werden knapp, weil die US-Destillerien aufgrund einer Gesetzesänderung ihre Fässer aus meist 80 Jahre alten amerikanischen Eichen mehrfach verwenden dürfen und dadurch die Exportverkäufe stark sinken. Gleichwohl kann Stockhausen sicher sein, dass ihn die Traditionalisten der Malt-Fangemeinde, denen nur Alter für Qualität bürgt, als Ketzer verteufeln werden. Genau wie den Cleveland Whiskey-Chef Tom Lix, der 2013 ein Verfahren vorstellte, bei dem durch Einsatz eines Druckbehälters die Jahre der Whiskeyreife auf Tage verkürzt werden können. Stockhausen ficht das nicht an: „Der Geschmack ist maßgebend, nicht die Zeit.“

Foto: Seven Seals Distillery AG