Die Beliebtheit fremder Küchen und Gerichte hat nicht nur geschmackliche Gründe. Das dozierte George Solt, Geschichtsprofessor an der New York University, als er 2014 sein Buch The Untold History of Ramen vorstellte: „Amerikas Umarmung von Ramen und der japanischen Populärkultur in den letzten zehn Jahren ist darauf zurückzuführen, dass Japan keine unliebsame wirtschaftliche Bedrohung mehr darstellt.“ Der damalige „kultartigen Wahnsinn um die 16-Dollar-Schalen mit Ramen, die vom Starkoch David Chang serviert werden“ (The New Yorker), resultierte für den Chef der Momofuku Noodle Bar in East Village gewiss eher aus seiner Fertigkeit, auch japanische Nudelsuppen so hinzukriegen, dass sie sein US-Gütezeichen des „Changian Cooking“ mitbegründeten. Aber er erkannte auch: „Es war genau der richtige Ort zur richtigen Zeit“.

Die Erfolgsgeschichte der Ramen begann bitterlich. Um nach dem Zweiten Weltkrieg das daniederliegende Japan vorm Verhungern zu retten, schickten die USA gewaltige Weizenlieferungen. Sie wurden zu Weizennudeln in mehr oder wässrigen Suppen, die Nippons Notleidende seit Mitte des 19. Jahrhunderts von ärmlichen chinesischen Einwanderern kannten. Mit beginnender wirtschaftlicher Erholung des Landes und aufkommendem privaten Wohlstand wurde die Nudelsuppe nicht verbannt, sondern die Ramen-Rezeptur kultiviert. Schnell wurden vier Elemente zum Gebot: Nudeln in verschiedenen Formen, deren alkalische Komponente die Elastizität der Textur (und den leicht seifigem Geschmack) bewirkt; Flüssigkeit, entweder klare Brühe oder satte Bouillon, in der die Nudeln wie in Milch zu schwimmen scheinen; Gewürz in Form von (Miso-) Paste oder (Soja-) Sauce; Zutaten, zunächst meist dünn geschnittenes, geschmortes Schweinefleisch, in Sojasauce marinierte Eier und Frühlingszwiebelgrün, mittlerweile alles a gusto.

Der Erfolg wurde unaufhörlich, als 1958 die Nissin Foods des aus Japans früherer Kolonie Taiwan eingewanderten Momofuku Andō die ersten Instant-Ramen in die Regale packte – die aneinandergereihten Nudeln wären übrigens auf ca. 51 m gekommen. Sicher nicht deswegen erreichten Ramen einen Rang in Japan, den sonst nur Popkultur schafft. Ihnen widmen sich drei Museen, TV-Shows, unzählige Comics (inklusive eines Ramenman), Zeichentrickfilme und die Datenbank von Ohsaki-san, der p. a. etwa 800 Portionen der Umami-Bomben isst, um à jour zu bleiben. Den ersten Michelin-Stern für Ramen erhielt 2015 das 9plätzige Japanese Soba Noodles Tsuta im Tokioter Stadtteil Sugamo 3 Jahre nach seiner Eröffnung. In seinen heutigen Schüsseln finden sich auch Sour Cream, Knoblauchchips und Goji-Beeren – womit der Welterfolg der Nudelsuppe erklärt ist. Denn „von Frankreich und Deutschland bis nach Amerika und sogar Australien blieben Ramen der japanischen Form treu“, wie das Shin-Yokohama Ramen Museum in seinen Annalen archiviert hat, „vermischt sich aber mit den Essenskulturen der einzelnen Länder und öffnet sich neuen regionalen Ramen-Stilen aus der ganzen Welt“.

Foto: Shin-Yokohama Ramen Museum