Mon Dieu, selbst der Ruhm eines Bocuse verblasst, zumindest als Vorbild für junge Köche. Um dieses Aufmerksamkeitsdefizit auszugleichen, tischt der traditionsreiche Nachwuchswettbewerb Bocuse d’or in Lyon nun erstmals und mit Medienfanfaren einen Ehrenpräsidenten auf – natürlich eine Frau, zeitgemäß woke und selbstredend mit den größten Vorzügen. Denn die auserkorene Amerikanerin Dominique Crenn ist für die Veranstalter die „perfekte Verkörperung der Werte internationale Offenheit, Feminismus, Exzellenz und Modernität in der Küche“. Die Reihenfolge der aufgezählten Höchsttugenden ist bemerkenswert: erst die Frau, dann die Köchin. Unstreitig sind ihre Offenheit (sie ist bekennende Lesbierin, verlobt mit der Schauspielerin Maria Bello), ihr Feminismus (den sie mal als Florett, mal als Säbel führt) und ihre Modernität (sie bietet fleischlose Küche und ist in TV-Formaten wie Top und Iron Chef zugange); umstritten ist ihre Exzellenz (die ernsthafte Gastrokritik erklärt sich ihren dritten Stern mit modischer Frauenquote statt kulinarischer Weltklasse). Mit der 57 Jahre jungen Köchin aus Kalifornien wollen die Bocuse-Vermarkter ihr Geschäftsmodell in einer Welt retten, in der alle jungen Köche Top Chef und Instagram, Twitter und Facebook kennen, aber kaum noch Monsieur Paul.

Produzent des Bocuse d’or ist das Lyoner Unternehmen GL Events, das sich als „Global Player in der Veranstaltungsindustrie“ sieht und 2021 nur 1,2 Mio € Gewinn nach Pandemie-bedingtem Verlust von 33,7 Mio € im Jahr 2020 machte. Der 1987 offiziell von Paul Bocuse initiierte und regierte Wettbewerb sollte – keineswegs altruistisch, sondern einträglich – „neue Talente bekanntmachen und die Gourmetküche ins Rampenlicht rücken“. Dazu treten alle 2 Jahre nach Dutzenden Ausscheidungen auf 4 Kontinenten im Finale in Lyon 24 Köche an, die 2 anspruchsvolle Aufgaben erfüllen müssen: Nächsten Monat ist in 5 ½ Stunden ein gesunder Kinderteller zu kreieren sowie aus 2 Seeteufeln und 6 Jakobsmuscheln ein warmes Gericht für 15 Personen zuzubereiten. Heute lässt GL Events den Wettbewerb nach außen hin von Sohn Jérôme Bocuse leiten, der in Florida lebt und gelegentlich nach dem Rechten im Familienbetrieb und nach den Rechten im Namen des Vaters sieht. Da ist nicht allzu verwunderlich, dass letztes Mal der Küchenchef des Restaurants im Ausbildungs-Institut Paul Bocuse gewann. Unter den voraufgegangenen 16 Siegern waren 7 Franzosen und 8 Skandinavier. Die Erfolgsbilanz der Nordlichter erstaunt vermutlich all jene, die nicht wissen, dass Norwegens Lachs-Business zu den Hauptsponsoren des Bocuse d’or zählt.

Was Dominique Crenn außer ihrem Image dazu beitragen soll und kann, dass GL Events weiterhin mit jungen Köchen Kasse macht, ist noch Menu surprise.

Foto: dominiquecrenn/Instagram