Dreiviertel aller traditionsreichen Londoner Bäckereien, in denen es mehr als Brot und Buns gibt, sind französische Gründungen. Dem historischen Einfall des Backhandwerks folgt die Créme der Pariser Pâtissiers, um den Blutzuckerspiegel in der Metropole einer der wegen seines Süßkonsums übergewichtigsten Bevölkerung der Welt zu heben.

Als erster erschien Pierre Hermé, der in Paris als „Paganini der Desserts“ (L‘ Express) galt und vom Landoner Guardian als „king of modern pâtisserie“ empfangen wurde. Der Erneuerer der Macarons, die ihm immer zu süß geschmeckt hatten und dann durch ihn zum beliebtesten Feingebäck Frankreichs wurden, hat seit 2018 zwei Boutiquen, beide an Nobeladressen (an der Oxford St. Und nahe Covent Garden). 2020 kam Philippe Conticini an den Camden Market, der 1994 als Erster vertikal in Gläsern statt horizontal auf Tellern anrichtete und laut Joël Robuchon „die großen Klassiker unserer Konditorei wie Tarte Tatin, Paris-Brest oder Saint-Honoré gänzlich neu dachte und die unendliche Leichtigkeit in sie brachte“. 2021 eröffnete Yann Couvreur in Mayfair, um auch dort „klassische Kreationen zum High-End-Gebäck zu erheben“, ob Schokoladen-Eclair oder in Mandelsirup getränktes Baba, ob Pistazien-Kirsch- oder Aprikosen-Käsekuchen.

Letzten Monat startete Cédric Grolet im The Berkeley. Der in Paris als „Rockstar des Backens“ gefeierte und mit der Trompe-l‘œil-Kunst realistisch aussehender Zitronen, Äpfel etc. weltbekannt gewordene Zuckerbäcker mit 2,2 Millionen Instagram followers, verkauft nun in dem Nobelhotel unter einer mit Blattgold vergoldeten Decke und einem mit Gold gravierten Glasschirm seine gehypten Obst- und Blumentorten – und ein 7-gängiges Kuchenmenü für 160 €. Noch bekömmlicher dürfte das 5-gänige für 105 € sein; es bietet zu Kaffee, Tee oder einem Glas Champagner Haselnuss, Zitrone, eine Paris-Brest- und Vanilleblume sowie seine Trompe-l‘œil-Hommage für den urbritischen Scone. Ab Mai heißt das Kaufhaus Harrods den Pâtissier des Pariser Palasthotels Plaza Athénée willkommen, Angelo Musa, und empfiehlt ihn der Kundschaft mit typisch britischem Understatement als „wahren Visionär in der kulinarischen Welt mit dem größten Know-how im Bereich der Pâtisserie“.

Nicht so übertrieben scheint ganz offensichtlich, was eine Autorin des London Eater nach ihren delikaten Kostproben in Paris den von Hermé angeführten Invasoren weissagte: Pierre, kommen Sie nach London, Sie werden sich dumm und dämlich verdienen. Das lockt auch Jessica Préalpato, die seit 2015 bei Alain Ducasse arbeitet und dessen fleischlose Küche der Naturalité ( Fisch, Gemüse, Getreide) um die Desseralité ergänzte. Deren Desserts, die saisonal und regional fruchtbetont sind und nie von Süße, Sahne und Schönheitssinn denaturiert werden, gibt’s künftig auch im Carlton Tower Jumeirah-Hotel. Sie bietet gleichsam das Kontrastprogramm zu den dekorativen Douceurs von Cédric Grolet, denn Préalpatos Pâtisserie ist dem kreativen Kochen näher als dem süßen Leben. Zu dem animiert auch keine noch so wolkenleichte und elegante Mariage von duftiger Zitrone und Kombu-Algen mit Estragon.

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