„Wir alle denken gerne, dass wir rationale, intelligente, gebildete Menschen sind, die die ganze Zeit über fundierte Entscheidungen treffen – und unterschätzen die Auswirkungen der Umwelt,“ beklagt Prof. Dr. med. Susan Jebb. Und hat dafür gleich ein praktisches Beispiel: „Wenn niemand Kuchen ins Büro mitbringen würde, würde ich tagsüber keinen Kuchen essen, aber weil die Kollegen Kuchen mitbringen, esse ich ihn.“ Die Professorin für Ernährung und Bevölkerungsgesundheit an der Uni Oxford hat nichts gegen Kuchen und Kollegialität, ist aber in vielen Funktionen gegen zu dicke Landsleute engagiert: als Vorsitzende der staatlichen Food Standards Agency und Beraterin von Public Health England, National Health Strategy England und der National Food Strategy. Ihre beiden Hauptziele: ein gesünderer und nachhaltigerer Lebensmitteleinkauf sowie Maßnahmen, die dabei helfen, Übergewicht oder gar Fettleibigkeit zu verhindern. 

Es reiche einfach nicht aus, sich auf die „außergewöhnlichen Anstrengungen“ der persönlichen Willenskraft zu verlassen, die erforderlich seien, um übermäßiges Essen in einer Gesellschaft zu vermeiden, die die Menschen ständig mit ungesundem Essen belastet. Was u.a. zu tun ist, erklärt sie am Beispiel der Rauchverbote, die in Büros wie Bahnen vor den Folgen des Passivrauchens schützen. „Da sind wir nach sehr langer Zeit an einem Punkt angelangt, an dem wir verstehen, dass der Einzelne sich anstrengen muss, aber dass wir seine Bemühungen durch ein unterstützendes Umfeld erfolgreicher machen können. Doch wir denken immer noch nicht so über das Essen.“

Der Politik unterstellt sie totales Versagen. Eine Reihe von Premierministern hat sich wiederholt gegen Maßnahmen zur Bekämpfung von Fettleibigkeit gewehrt, weil Englands Konservative etwas gegen öffentliche Maßnahmen haben, die ihnen als Eingriffe eines „Kindermädchen-Staats“ erscheinen. So spottete auch Boris Johnson, bis er akzeptierte, dass „starkes Übergewicht“ zu seiner Nahtoderfahrung mit Covid beigetragen hatte. Er legte Pläne vor, um Junk-Food-Werbung im Fernsehen vor 21 Uhr zu verbieten und die „Buy One Get One Free“-Angebote für ungesunde Produkte zu beenden. Doch nun sträubt sich in der Nachfolgeregierung Gesundheitsminister Steve Barclay gegen solche Verbote.

Da wird Jebb drastisch: „Werbung bedeutet, dass die Unternehmen mit dem meisten Geld den größten Einfluss auf das Verhalten der Menschen haben. Das ist nicht fair. Im Moment erlauben wir Werbung zu kommerziellen Zwecken ohne jegliche Gesundheitskontrollen, und wir erleiden ein völliges Marktversagen, weil das, was beworben wird, Schokolade und kein Blumenkohl ist.“ Und noch drastischer: „Das Gesundheitswesen ist so beschäftigt, Krisen in Notaufnahmen, Krankenwagen und Wartelisten zu bekämpfen, dass wir nie auf die eigentlichen Ursachen eingehen. Wir sind so damit beschäftigt, den Überlauf aus dem überlaufenden Hintern zu wischen, dass wir nicht dazu kommen, den Wasserhahn zuzudrehen.“ Folglich sind zwei von drei Drittel der erwachsenen Engländer und 20 % der Kinder bei der Einschulung übergewichtig – und Teil eines fast weltweiten Problems…

Am schlanksten sind die Vietnamesen, am dicksten die Nauruer in der kleinsten Republik auf Erden*

LandAnteil Übergewichtiger in %Anteil der Fettleibigen in %
   
Vietnam18,32,1
Indien19,73,8
Japan27,24,4
China32,36,6
Thailand32,610,8
Schweiz54,321,2
Dänemark55,421,3
Österreich54,321,9
Schweden56,422,1
Brasilien56,522,3
Italien58,522,9
Niederlande57,823,1
Frankreich59,523,2
Luxemburg58,724,2
Belgien59,524,5
Finnland57,924,9
Norwegen58,325
Polen58,325,6
Deutschland56,825,7
Russland57,125,7
Israel64,326,7
Irland60,626,9
Spanien61,627,1
Griechenland62,327,4
Argentinien62,728,3
Tschechien62,328,5
Ungarn61,628,6
Großbritannien63,729,3
Vereinigte Arabische Emirate67,829,9
Australien64,530,4
Türkei66,832,2
Saudi Arabien69,735
Nauru88,560,7

* laut Weltgesundheitsorganisation (WHO).
Foto: University of Oxford