„Ich war ein Tier, wütend wie die Hölle,“ erinnerte sich Rene Redzepi an seinen Auftritt und seinen Ton in der Noma-Küche, als er mit der „Neuen Nordischen Küche“ weltweit Furore machte. Letzte Woche entschuldigte er sich nun förmlich per Mail und bekannte: „Meine Wutprobleme haben mein Team beeinflusst und dazu beigetragen, die Umgangsformen in unserer Branche zu verschlimmern. Ich weiß, dass ich Teil des Problems war.“

Seine damaligen Sitten erklären sich vermutlich aus seiner Jugend. Der Sohn eines eingewanderten albanischen Busfahrers und einer dänischen Putzfrau flog mit 15 von der Kopenhagener Schule: „Ich war ein unglaublich schlechter Schüler. Das Letzte, woran ich mich erinnere, war ein Lehrer in der neunten Klasse, der mich mit diesem unglaublich enttäuschten Blick anschaute und sagte ‚Wach auf, René‘… Mein bester Freund wollte Koch werden, also dachte ich: warum nicht?“

In der ersten Woche seiner Lehre sah er in einem Kochbuch ein Brathähnchen, das Kindheitserinnerungen weckte und ihm den Sinn des Berufs schmackhaft machte. Die Arbeitsweise in der Küche erlebte er nur mit Geschrei und Aggressionen. Heute führt der arbeitsethisch geläuterte 43-jährige das mittlerweile an den Kopenhagener Stadtrand gezogene, nun Burger bietende Noma wie ein gastronomisches Zen-Zentrum: der Küchenchef als sanfter Mediator statt cholerischem Kommandeur, die Küchenbrigade als aggressionsfreies Team statt diskriminierender Hierarchie.

Redzepis Mail wurde von der New York Times in ihrer Berichterstattung über Belästigungs- und Diskriminierungsvorwürfe ehemaliger Mitarbeiter gegen die Chefs des Restaurants Willows Inn auf Lummi Island an der amerikanisch-kanadischen Grenze publik gemacht. Das unter kulinarischen Globetrottern sowie den Networkern bei 50 Best und den Connaisseurs bei La Liste gehypte Haus steht 160 km nördlich von Seattle auf einer 1000-Einwohner-Insel. Es bietet ein Dutzend Tische, 8 Zimmer, ein ca. 15gängiges Degustationsmenü für 285 $. Das Resort in heiler Welt ist ein Idyll, die Vowurfsliste in der Zeitung ein Graus. 35 ehemalige Mitarbeiter gaben mit Details zu Protokoll: Küchenchef und Mitinhaber Blaine Wetzel, der zuvor zwei Jahre bei Redzepi im Noma war, habe sich körperlicher Einschüchterung und verbaler Beschimpfungen einschließlich rassistischer, sexistischer und homophober Beleidigungen schuldig gemacht und sexuelle Belästigung weiblicher Mitarbeiter durch männliche Küchenmitarbeiter geduldet. Köchinnen fühlten sich bei Beförderungen ausgeschlossen; zwei von Wetzel genannte Souschefinnen erklärten, diesen Job nie bekommen zu haben. Manager Reid Johnson wurde vorgeworfen, auf keine Beschwerde über Wetzel reagiert zu haben. Auf die Frage, warum sie nicht gegangen wären, sondern alles ertragen hätten, antworteten die Klagenden: Ein gutes Zeugnis von Wetzel sei ein Sprungbrett für jeden Kochjob der Welt.

Zur Klage übers Arbeitsklima kamen geschäftliche Vorwürfe hinzu. Sie erschüttern Wetzels kulinarische Ruhmesgeschichte, nur lokal gesammelte, gefischte, gezüchtete und erjagte Produkte zu verwenden. So sei in Supermärkten regelmäßig Gemüse zugekauft, als „pazifischer Tintenfisch“ gefrorener aus Spanien und Portugal und als auf der Insel geschossenes Wild Zuchtware aus Idaho zubereitet oder gefrorene Jakobsmuschel aus Alaska auf die Form und Größe der fangfrischen Ware zugeschnitten worden.

Blaine Wetzel bestritt all diese im April veröffentlichten Vorwürfe und porträtierte sich dabei als Inkarnation eines idealen Küchen- und Personalchefs. (Dass Windows Inn im März 600.000 $ geblecht hatte, um eine Sammelklage von 99 Mitarbeitern wegen unlauterer Arbeitspraktiken abzuwenden, ist in dem wegen Rassismus und Sexismus aufgebrachten Amerika eher nebensächlich.)

Diese Reaktion kam auf der Insel nicht glaubwürdig an. Letzten Freitagabend erschienen rund 50 Demonstranten, fast alle Insulaner (unter denen auch Bewohnerinnen von Lummi Island in die Sexismusvorwürfe gegen Willows-Männer einstimmten), und agitierten: „Rassismus ist kein lokales Produkt“, „Streichen Sie Sexismus aus dem Menü“, „Können 35 lügen?“ Das Restaurant bat alle Gäste von der Terrasse ins Innere und versperrte den Blick auf die Protestanten und den spektakulären Sonnenuntergang mit schwarzen Vorhängen.

Tief blicken lässt hingegen eine andere Reaktion der Gastronomen. Sie erstatteten laut Mitarbeiterangaben Hunderten von Gästen, die ihre Reservierung stornierten, kommentar- und problemlos die abgebuchte Anzahlung. Und sie ergänzten die Homepage um ein Kapitel über „Verantwortung“, in dem verantwortungsvolles Handeln im Haus versprochen und dessen soziales Engagement auf der Insel ausgebreitet wird.

Foto: @ReneRedzepiNoma