Da Cannabis nach Alkohol und Tabak in Deutschland die meistkonsumierte, aber eine illegale Droge ist, will die Ampel-Koalition sie auf dem heimischen Markt entkriminalisieren: „Wir führen die kontrollierte Abgabe an Erwachsene zu Genusszwecken in lizenzierten Geschäften ein.“ Das beruhigt alle, die um Verbraucher- und Jugendschutz bemüht sind, und beschäftigt nicht nur beratende Mediziner und verkaufende Apotheker, sondern fordert weiteres Drogenbewusstsein. Georg Wurth vom Deutschen Hanfverband prognostiziert: „Die Genusskunden erwarten, dass der Verkäufer die Sorten ausprobiert hat und weiß: Was gibt schöne visuelle Effekte, was nagelt einen schön aufs Sofa zum Runterkommen.“ Und in der Weinwelt fragt man sich – nicht erst seit der Berliner Absichtserklärung, sondern schon seit der Legalisierung in fast allen US-Bundesstaaten – ernsthaft: Könnte Cannabis zu Lasten des Weins gehen?

Der Wine-Searcher, der sich als „Google des Weins“ sieht, berichtet von wachsender Wertschätzung für dieses Gras in „anspruchsvolleren Kreisen“ und „oberer Mittelklasse“ der Weintrinker, die es zuvor aus Gesetzestreue ignorierten, und belegt das mit Zahlen: 2020 erreichte es in den USA einen Umsatz von 17,5 Milliarden $, 46 % mehr als 2019; große Getränkeunternehmen wie Constellation investierten 4 Milliarden $ in die Branche. Freimütig räumt der Wine-Searcher ein: „In der Welt des Cannabis gibt es genauso viel zu verstehen wie in der Welt des Weins. Um es wirklich zu schätzen und sein Wissen an die Verbraucher weitergeben zu können, bedarf es grundlegender Kenntnisse über seinen Anbau und die regionalen Variationen sowie Wissen über seine verschiedenen Wirkungen und seine Qualität im Aroma, Aussehen und Geschmack. Auch das Service-Element ist wichtig.“

Deshalb entwickelten Cannabis-Legenden wie Swami Chaitanya, Amanda Reiman, Mel Frank und Patrick King nach dem Vorbild der höchst anspruchsvollen Master of Wine- und Master Sommelier-Prüfungsprogramme die etwas einfacher scheinende, zumindest zeitlich sehr viel kürzere Zertifizierung zum Ganjier. Für den ersten Kurs (Gebühr ohne Reisekosten: 2.997 $) ab Oktober 2020 in Kalifornien meldeten sich 400 Interessierte aus 13 Ländern an. Jetzt bestanden 63 der 400 Bewerber – darunter auch Au Chung, die als Sommelière bei Starköchin Dominique Crenn in San Francisco arbeitete (und einen Master in Betriebswirtschaft hat). Sie kam während des Corona-Lockdowns zu der Überzeugung, dass ihr Cannabis so viel wie Wein geben, aber die Nachteile der Gastronomie nehmen könne. Professionelle Anerkennung fürs Ganjier-Programm zollten auch Rob McMillan, der Gründer der Silicon Valley Bank und Autor des jährlich erscheinenden State of the Wine Industry, oder Evan Goldstein einer der angesehensten US Master-Sommeliers: „Cannabis ist erwachsen geworden, Ganjiers werden akzeptiert.“

Und in Kalifornien arbeitet der Gesetzgeber bereits daran, fürs Gras wie beim Wein den besonderen Charakter definierende Appellationen zuzulassen. Zum Napa Valley des Cannabis könnten Humboldt County und Mendocino County werden. Die Winzer des bekanntesten amerikanischen Weinbaugebiets wehren sich übrigens vehement gegen jeden Gras-Anbau in ihrem Beritt…

Foto: Courtesy Au Chung