Thomas Keller, 67, hält in seinem Dreisternerestaurant French Laundry im Napa Valley täglich 6 Suppen vorrätig. Warum plauderte jetzt Ex-Mitarbeiter Jesse Fox aus: Keller habe jeden Abend besondere Gäste, von Milliardären über Hollywood-Prominente bis hin zu gelegentlich kommenden Journalisten. Er möchte, dass die sich alle auch besonders fühlen, also erhalte jeder ein Gericht, das nicht auf der Karte stehe. Und damit der Star nicht alleine esse, bekomme jeder am Tisch ein anderes Extragericht. Der zeitweilige Suppenkoch Fox hatte noch eine weitere Aufgabe in der Erfolgsrezeptur des Chefs. Keller, der auch in seinem New Yorker Per Se 3 Sterne hat, ist einer der wenigen Starköche, die nicht publicitygeil mit den Medien heulen: „Die wollen ständig über Neues schreiben und fragen ‚Was machst du als nächstes?‘ Die Frage ist idiotisch.“ Denn er findet nichts falsch an dem, was er heute macht – und macht manches jahrzehntelang. Seine 1994 zur Eröffnung der French Laundry auf die Karte gesetzte Vorspeise Oysters and Pearls (Foto unten) startet seither das Menü: Sie ist eine Art Sabayon aus Tapiokaperlen mit (derzeit) Island Creek-Austern und Regiis Ova-Kaviar. „Ich habe 11 Monate lang jeden Tag Austern und Perlen gemacht“, erinnert sich Fox mit Grausen, „es war die größte Arbeitsbelastung, die ich je in meiner Karriere hatte. Die Zubereitungsliste ist eine Meile lang.“ Fox, der in Paris gelernt und vor dem Keller-Job bei Jean-Georges Vongerichten in New York arbeitete, ist nun aufgrund seiner schon lange gepflegten Liebe zum Wein Winzer in der 4 Meilen vom Restaurant entfernten Sequoia Grove Winery – und fühlt sich wohler: „Im Vergleich zum Organisiertsein und der Arbeitsbelastung in der Küche war der Übergang zur Weinherstellung einfach“.

SEIT 1994 IM FRENCH LAUNDRY-MENÜ

Fotos: thomaskeller.com

MOLEKULAR-FAN MARX EXPANDIERT

Thierry Marx, 63, hyperaktiver Pariser Küchenchef (Zwei-Sterne-Restaurant im Mandarin Oriental-Hotel, Restaurant und Brasserie auf dem Eiffelturm, Bäckerei (mit Streetfood und 4 Filialen), Thierry-Marx-College mit 6 Standorten in Frankreich, Food Lab „Centre Français d’Innovation Culinaire“, Beratungsagentur „360°F&B“ und Präsident des Arbeitgeberverbands der Hotellerie und Gastronomie), eröffnet am 2. Februar ein weiteres Lokal: „Onor, das Gourmetrestaurant zur Wiederherstellung von morgen“. Stets rätselhaft formulierend mischt er in den Menüs (mittags 4 Gänge für 90 €, abends 6 für 250) seine Signature Dishes wie Soja-Risotto und Trompe-l‘œil-Zwiebelsuppe mit einer Neuinterpretation der Ravioli verschränkte Arme oder der Dessertinspiration Gurke mit Schokoladenbiskuit sous vide. 20 % der Arbeitsplätze bekamen Jugendliche mit sozialen oder Integrationsproblemen, denn für ihn ist „Onor mehr als ein Restaurant, es ist eine Verpflichtung. Die Idee von Onor wurde während der Covid-Krise geboren, von einer angehaltenen Welt, von einem Leben in Klammern, einem schwebenden Moment, in dem jeder seine Zukunft mit einem Teil der Vorstellungskraft nährt. Wir sprachen über die nächste Welt … und hier sind wir morgen. Die guten Themen waren schnell vergessen: die Zukunft des Planeten, der wahnsinnige Wettlauf um Profit trotz aller Vernunft und am Ende der Reflexion unsere Zerbrechlichkeit. Onor ist eine bewegende Utopie, eine Versöhnung zwischen Gewissen und Kulinarik, zwischen Engagement und Berufsausübung.“ Welch ein Genussversprechen – wäre Thierry Marx nicht so ernst zu nehmen, könnte einem sein Namensvetter Karl einfallen: „Ein Mann kann nicht wieder Kind werden, aber kindisch.“

Foto:© ONOR Restaurant engagé

WIE GEWINNT DER WEIN JUNGE KÄUFER?

W. Blake Gray, 54, US-Redakteur von Wine-Searcher (einer website, die sich als „Google des Weins“ sieht), in einem Kommentar zum ungelösten Problem der Weinindustrie, jüngere Verbraucher wie die Millennials und Generation Z anzusprechen: „Wenn ich die Lösung wüsste, würde ich sie für Millionen von Dollar an Gallo oder Constellation verkaufen.“ Nach einer Aufzählung vergeblicher Bemühungen (Moscato-Boom, rote Cuvées, Dosen- und Naturweine) macht er doch drei Vorschläge: Die Weinindustrie sollte erwägen, zu Jay-Z, einem Fan von weißem Burgunder, zu gehen und ihn und seine Frau, ebenfalls eine Musikerin von einigem Ansehen, auf den Knien darum zu bitten, eine Art gemeinsames Album über Wein zu machen. Die Familie Gallo sollte einen brillanten Autor/Regisseur engagieren, der sich einen Weinfilm ausdenkt. Die Weinindustrie sollte sich gegen den Trommelwirbel der Negativität in Bezug auf Gesundheit und Alkohol mit Profisportlern wehren (Basketballspieler lieben Wein): Wenn ein Top-Konditionssportler nach dem Spiel Wein genießen kann, zeigt das, dass es einem nicht so schlecht geht, wie die Neo-Prohibitionisten behaupten.

Foto: Wine-Searcher

ZUGKRÄFTIGE EIGEN-PR AM 5. TODESTAG

Georges Blanc, 80 (2.v.l.), Dreisternekoch in Vonnas, postete am 20. Januar anlässlich des fünften Todestags von Paul Bocuse ein historisches Foto: Es zeigt ihn am 22. September 1981 auf dem Hauptbahnhof von Lyon mit den drei Granden Alain Chapel, Pierre Troisgros und Bocuse. Das Quartett versammelte sich an der Lok des ersten aus Paris gekommenen TGV; Fahrzeit 2 ½ Stunden. Bocuse veröffentlichte dieses Bild damals mit der für ihn ungewöhnlich sachlichen Bemerkung: „Die Züge werden einen großen Einfluss auf die Besucherzahlen unserer Restaurants haben.“ Blanc schrieb jetzt zu dem Foto nur den lapidaren Satz: „Monsieur Paul war schon 5 Jahre unser Anführer.“ Was Blanc sehr schmeichelt; denn er stand noch als Zweisternekoch am Zug und gehörte nicht zur legendären „Bande von Bocuse“. Mehr Aufwand fürs Bocuse-Gedenken als der ein Autostündchen entfernte Blanc trieben die Starköche Daniel Boulud und Thomas Keller aus den USA, Julien Royer aus Singapur, Mauro Colagréco und Christophe Bacquié aus Frankreich: Als Hommage an Bocuse aßen sie am 20. Januar an dessen Wirkungsstätte in Collonges-au-Mont-d’or zu Abend.

CHAPEAU!? KÖCHINNEN UND IHR CHIC

Dominique Crenn, 58 (l.), und Hélène Darroze, 55, Dreisterneköchinnen, verbindet Zweierlei: Sie expandieren und finden sich nicht nur mit Kochmützen attraktiv. Der französische Blog Food & Sens illustrierte am 9. Januar seine Nachricht, dass die in San Francisco erfolgreiche Fleischverächterin und Feministin Crenn ab April auch in Paris präsent ist, mit obigem Porträt, für das sich die glamouröse Köchin burschikos inszenierte. Sie wird im Golden Poppy mit Café und Dachgarten des neuen Hotels La Fantaisie in Faubourg-Montmartre kochen (lassen). Daraufhin ließ Mme Darroze, die in ihrem Pariser Restaurant Marsan zwei und im Londoner Connaught (dank eines besseren Küchenchefs) drei Sterne hat, Food & Sens ein ebenfalls burschikoses Porträtfoto zukommen, um am 14. Januar die News zu illustrieren, dass sie im Februar Jòia Bun eröffnet, in dem sie sich dem Street Food und insbesondere den Burgern widmen will. Diese „Erweiterung ihrer kulinarischen Identität“ und „neue Alternative zur großen Gastronomie“ betreibt sie 1 km von Crenns California Cuisine entfernt. Hoffentlich sind ihre Burger schärfer als ihr Foto…

MEERWASSER FÜR DEN NAPA-CABERNET

Anthony Perliss, 52, Erbe des hochgelobte Cabernet Sauvignons produzierenden Weinguts Perliss Estate Vineyards in Calistoga am Nordende des Napa Valley und ehemaliger Grafikdesigner im Pariser Parfumbusiness, setzt seinem Corvus Pacificum „auffallend klares“ Meerwasser aus der Bucht von San Francisco zu, geschöpft vor China Beach, das bislang nur wegen seines Panoramablicks auf Golden Gate gelobt wurde. Auf die Idee kam er bei der Lektüre, dass die alten Römer Meerwasser in Wein mischten, „wahrscheinlich wegen seiner konservierenden Eigenschaften, aber es half wahrscheinlich auch dabei, den Wein weicher und milder zu machen“ (Perliss). Nach dem Probieren mit seinem höchst angesehenen Berater, dem Önologen und Winzer Aaron Pott, mischte er 0,66 % Wasser und 99,34 % seines 2019er, in Amphoren gereiften Cabernets. Der reichte für rund 750 Flaschen à 275 $. Als Effekt meldete Weinkritikerin Esther Mobley vom San Francisco Chronicle „einen Hauch von etwas wie gesalzenem Karamell im klassisch reichen, dunkelfruchtigen Napa Cabernet“. Für den 2020er testete das Duo höhere Konzentrationen – ab 5 % Wasser fing der Wein laut Perliss „an, nach Sojasauce zu schmecken“. Er wurde schließlich mit 2,5 % Wasser aus dem Meer um das etwas nördlicher gelegene Angel Island abgefüllt.

Foto: Perliss Estate

MACHT MUSIK KRUG VERSTÄNDLICHER?

Manuel Reman, 44, Absolvent der Pariser Ingenieurschule für Brücken und Straßen und seit 2004 bei Moët & Chandon, brachte es aus dessen Controlling zum Präsidenten von Krug, das mal der Inbegriff von Champagner war und heute eine Marke von Moët Hennessy ist. In seinen ersten Interviews seit Amtsantritt am 1. April erklärte er nun, warum Musik in der Krug-Firmengeschichte so wichtig ist: „Wissen Sie, der Champagnerprozess ist komplex, und der Krug-Prozess ist sogar noch komplexer. Wir schneiden alles in Stücke und bauen es dann wieder auf. Wenn wir anfangen, in technischen Worten über unseren Champagner zu sprechen, werden wir jeden verlieren. Also haben wir uns entschieden, verschiedene Analogien wie Musik zu verwenden – es ist eine universelle Sprache und sie ist umfassend – um mehr Menschen zu erreichen, die die Sprache des Weins nicht sprechen.“ Seit September gibt’s als Album „A Suite for Krug 2008“, komponiert von Ryūichi Sakamoto (der 1987 den Oscar für seine Filmmusik zu Bernardo Bertoluccis „Der letzte Kaiser“ erhielt). Das Œuvre wurde auch live in Krug-Konzerten unter dem Motto „Seeing Sound, Hearing Krug“ in New York, London und Tokio mit 36 Musikern, 3D-Musiktechnologie und Sonne simulierendem Lichtdesign aufgeführt.

KRUG-KOMPONIST RYŪICHI SAKAMOTO, 70

Im ersten Satz seiner Suite würdigt Sakamoto den Clos du Mesnil 2008 u.a. durch ein „knackiges Klaviersolo, das an Tautropfen und fallenden Regen erinnert, akzentuiert durch den sanften Schlag der Perkussion, um die feinen, federleichten Bläschen des Weins darzustellen“. Für den zweiten Satz, der die „klassische Schönheit“ des normalen Krug-Jahrgangs intoniert, „habe ich ein Ensemble aus Geigen, Celli und anderen Streichinstrumenten ausgewählt, aber auch Holzbläser für mehr Tiefe hinzugefügt“. Den dritten Satz – für die Krug Grande Cuvée 164ème Édition – spielt das gesamte Orchester; Sakamoto: „Die Fülle der Geschmacksnoten und Aromen bedeutet, dass wir alle etwas darin finden können, das uns auf persönliche Weise berührt – eine jede Erfahrung ist einmalig. Mein dritter Satz ist genauso. Jeder Zuhörer und jede Zuhörerin wird etwas anderes daraus mitnehmen.“ Besprechungen gab es bislang in Blättern wie Vanity Fair, Falstaff oder Epicure Asia, die mehr Sinn für Krug-Anzeigen als Musik zeigen.

Fotos: Krug

US-RESTAURANTTREND: COASTAL ITALIAN

Rebecca Jennings, 30, bei Vox Media in New York mit der Internetkultur beschäftigt, servierte den hauseigenen Eater-Kollegen eine Erklärung, warum die neuerdings in den USA so gern als Coastal Italian Restaurant firmierenden Stätten für Pasta e Pizza, Scampi e Saltimbocca ein besseres Angebot als die italienischen Küsten(restaurants) selbst sind. Den Trend erklärte Eater damit, dass das Branding Küstenitalienisch in diesen Lokalen mit hellen Farben und ozeanblau eine besondere Aura von Wellness habe: weg vom Alltag an Sonne und Meer, leichte und frische Gerichte mit den gesundheitlichen Vorzügen der mediterranen Küchen – egal was von Spaghetti Bolognese über spanischen Oktopus und Pitta Menü im römischen Stil  bis zu Steaks vom Grill auf der Karte steht. Dabei kann das Italien-Feeling so angenehm bleiben, wie man es sich vorstellt, ergänzte Kollegin Jennings, und wird nicht so, wie man es im Urlaub erlebt: „In Positano, einem der beliebtesten Orte an der italienischen Küste, finden dreimal mehr Touristen als Einheimische statt einer charmanten, farbenfrohen Ortschaft meist Horden anderer Touristen, die alle um dasselbe Selfie wetteifern. Dieses Problem des Reisens resultiert nicht daraus, dass zu viele Menschen im Allgemeinen reisen, sondern dass zu viele Menschen genau das Gleiche erleben möchten, weil sie alle auf die gleichen Websites gegangen sind und die gleichen Bewertungen gelesen haben.“
Foto: @rebexxxxa/Twitter

BERLINER KÜCHE AUF UNTERER STUFE*

Franziska Giffey, 44, Regierende Bürgermeisterin von Berlin, die sich bislang nur mit schlichter Hausmannskost fotografieren ließ, empfing letzten Montag die Betreiber der 4 Berliner Lokale, die dieses Jahr Aufnahme in die britische Rangliste The World’s Best 50 Restaurants fanden: Nobelhart & Schmutzig (Platz 17), Tim Raue (26) und Ernst (62) sowie Coda (Sonderpreis Pâtisserie). In ihrer Gratulation schwärmte sie: „. Berlin ist … weltweit bekannt für vielfältige, kreative und internationale Kochkunst auf höchstem Niveau.“ Der kulinarischen Wahrheit näher kam jüngst der aus St. Moritz ins Berliner Adlon gewechselte Küchenchef Reto Brändli beim Schweizer Gault&Millau: „In Berlin habe ich noch in keinem Top-Restaurant einen gebratenen Fisch serviert bekommen.“ Es sei gar nicht so einfach gewesen, in Berlin an Produkte zu kommen, die seiner Vorstellung von Spitzenküche entsprechen. „Guter Meerfisch ist echt schwer zu finden, und bis mir jemand Kalbsrücken liefern konnte, der am Knochen sorgfältig gereift wurde, habe ich lange rumtelefoniert.“

*Auf dem Foto im Roten Rathaus in der unteren Reihe von links Lorraine Haist (Chairwoman Germany von 50Best), Tim Raue, Franziska Giffey, Spencer Christensen (Restaurant Ernst), dahinter von links: Oliver Bischoff (Restaurant Coda), Marie-Ann Wild (Restaurant Tim Raue), Dylan Watson-Brawn (Restaurant Ernst), in der oberen Reihe von links: Micha Schäfer (Restaurant Nobelhart & Schmutzig), René Frank (Coda), Christian Tänzler (Pressesprecher visit.berlin), Billy Wagner (Nobelhart & Schmutzig). 

AUS FÜR DIE ERSTE VEGANE STARKÖCHIN

Claire Vallée, 42, Küchenchefin und Patronne des ersten mit Michelin-Stern ausgezeichneten veganen Restaurants der Welt, hatte wenig Fortune mit ihrem Konzept, das ein 10gängiges Menü für 59 € bot und selbst in der New York Times gepriesen wurde. Im Januar 2021 erhielt sie die Auszeichnung, am Ende der Sommersaison 2021 schloss sie wegen Personalmangels für 1 ½ Monate, Anfang 2022 sperrte sie vorläufig, letzten Montag endgültig zu: Sie fand für die „origine non-animale“-Gastronomie in ihrem Ona in Arès am Becken von Arcachon nicht genug Mitarbeiter und für die Willigen keine bezahlbare Unterkunft in dem Feriengebiet westlich von Bordeaux. Die promovierte Archäologin aus Nancy, die nach ihrem Studium einen Ferienjob im Hotel Plaza in  Crans-Montana angenommen und es dort in ihrer Freude an der Gastronomie von der Aushilfskellnerin zur Küchenchefin brachte, über ihre Zukunft: „Ich glaube nicht, dass ich ein Restaurant wiedereröffnen werde, wie wir es kennen. Die aktuellen Restaurants sind veraltet. Sie sind aufgrund von Angebot, Arbeitskräften, Energiekosten etc. zum Verschwinden verurteilt. Andererseits können wir auf viele andere Arten arbeiten. Das Restaurant der Zukunft darf kein Restaurant zwischen vier Wänden sein. Wie sieht das Restaurant von morgen aus? Ich habe im Moment keine Ahnung…. Nicht nur für das Gastgewerbe bricht eine neue Ära an.“ Zunächst mal wird sie für ihr erstes Kochbuch das Vorwort unter dem Titel „ONA ist das Morgen, das zu früh gekommen ist“ umschreiben und dann Kochschüler des Instituts Paul Bocuse auf deren Südkorea-Exkurs betreuen.
PS: Schließungen anderer Restaurants am Becken von Arcachon sind nicht zu beklagen.

DAS GROSSE C DER EITLEN KÜCHENCHEFS

Thierry Marx, 63, hyperaktiver Pariser Küchenchef, stilisiert sich in einer Köche-Ära, da selbst Azubis ihren Namen auf die Kochjacke sticken lassen, durch unfranzösisches Understatement: Er hat lediglich die dezente Silhouette seines glattrasierten Schädels auf der Brust. Das Köpfchen hat er u.a. für sein Zwei-Sterne-Restaurant im Mandarin Oriental-Hotel, das Restaurant und die Brasserie auf dem Eiffelturm, seine Bäckerei (mit Streetfood und 4 Filialen), das Thierry-Marx-College mit 6 Standorten im Lande (führt mit besonderer „Förderung einer fortgeschrittenen sozialen und ökologischen Verantwortung“ zum Bachelor-Abschluss), das Food Lab „Centre Français d’Innovation Culinaire“, die Beratungsagentur „360°F&B“, das soziale Engagement in Kochintegrationsschulen, die Menüs der TGV-Speisewagen und das Präsidentenamt beim Arbeitgeberverband der Hotellerie und Gastronomie… Andererseits ist der Frühaufsteher (5.45 Uhr) und Judoka, der in einem Hausboot auf der Seine wohnt und mit dem Fahrrad durch Paris fährt, so eitel wie die meisten Starköche der Grande nation und schreibt in Texten über sich: le Chef Etoilé Thierry Marx. Doch das Wort chef ist im Französischen kein Titel, Eigenname oder Ausdruck von etwas Besonderem, sondern ein gewöhnliches Wort, das klein geschrieben wird – genauso wie das Wort président. Die Küchenchefs, die sich des großen C würdig finden, sind in ihrer Egomanie nicht allein: Staatschef Macron ist z.B. in den Medien immer noch grammatikalisch korrekt le président, auf seiner Élysée-Homepage aber schon le Président.

Foto: Sipa

TRAURIG STATT FRITTIERT: AIR FRYER-CHIPS

Jay Rayner, 56, Gastrokritiker derLondoner Zeitungen Observer und Guardian (und Jazzpianist im Jay Rayner Sextet), erprobte eine Cosori-Heißluftfritteuse, nachdem er bei TikTok und Amazon mitgekriegt hatte, wie „in“ Air Fryer sind und wie sehr sie die Haushaltskasse entlassen. Denn laut moneysavingexpert.com kosten sie mit 34 Pence pro Betriebsstunde nur die Hälfte der herkömmlichen Zubereitung. Und die Kartoffelchips würden ihre süchtig machende Wirkung auch noch mit 75 % weniger Öl erreichen. Rayner wagte sich zuerst an Speck und bekam nach den vorgegeben 6 Minuten etwas, das blass und rosa aussah wie die Haut, die man nach einer Schnittwunde für ein paar Tage unter einem Pflaster eingesperrt hat. Die mit Speisestärke, Parmesan, Knoblauchpulver, Salz und Pfeffer gesalbten Hähnchenflügel waren nach 25 Minuten auf der einen Seite nur teilweise knusprig und auf der anderen schlaff; die in Honig und Gewürzmischung gewendeten gelangen. Bei den Fischnuggets überkam Rayner nur Bedauern: Oh, dieser arme, arme Kabeljau. Schließlich der ultimative Test: handgemachte Chips. Sie sind am Ende der 28-minütigen Garzeit noch halbroh. Ich gebe ihnen weitere 10 Minuten. Schließlich sind sie irgendwie fertig, aber sie sind langweilig und trocken und sehr traurig, genau wie ich. Denn diese Fritteuse frittiert nicht. Aber das bedeutet nicht, dass sie keine bedeutenden Tugenden hat. Sie ist ernsthaft energieeffizient, was in der aktuellen Wirtschaftslage von Bedeutung ist. Und ich sehe, dass man damit eine ganze Reihe von Dingen sehr erfolgreich kochen könnte. Die US-amerikanische Food-Bloggerin und selbsternannte Heißluftfritteuse-Evangelistin Rebecca Abbott hat sich beim Zubereiten von Lammkoteletts und Rib-Eye-Steaks bis hin zu Hummer und Käsekuchen aufgenommen. Aber holen Sie sich keine, wenn Sie von wirklich guten Chips träumen.

Foto: Dan Rayner

FAIBLE FÜR SCHOKOLADE ZUM WEIN

Gabriela Pozo, 35, Präsidentin der ecuadorianischen Sommeliervereinigung, kämpft seit sie sich für Wein interessiert, gegen Vorurteile. „Ich habe meine Abschlussarbeit in der High School über das Potenzial geschrieben, das Ecuador für die Weinproduktion hat. Offensichtlich denkt die Welt, dass es nicht möglich ist, Wein am Äquator zu haben… Ich liebe es, Schaumwein mit unseren verschiedenen Arten von Ceviche zu kombinieren… Sommeliers aus anderen Teilen der Welt sind immer der Ansicht, dass man Schokolade und Wein nicht kombinieren kann.“ Sie hingegen empfiehlt: „70 Prozent Zitronengrasschokolade mit einem Sauvignon Blanc – das ist überwältigend; 80 Prozent Schokolade mit einem gereiften Syrah können sehr gut harmonieren; 100 Prozent Schokolade mit einem guten Kakao passt fantastisch zu Whisky und Rum.“ Die Sommelière wuchs mit der Weinentwicklung in ihrem Land auf: Ihre Mutter gründete vor 20 Jahren den ersten Weinclub in Ecuador, „als es nur zwei Marken im Supermarkt gab und mehr Wein für die heilige Messe als den privaten Verbrauch produziert wurde. Jetzt haben sie über 1000 Mitglieder in allen großen Städten Ecuadors und eine Sommelierschule etabliert.“ Neben dem Wein treibt sie noch Anderes um: „Wir haben unsere Rohstoffe schon immer in andere Länder geschickt. Wir exportieren Kakao in die Schweiz und dort gibt es die beste Schokolade, aber wir haben noch nie ecuadorianische Schokolade verkauft… Die Ahnengeschichte von Sake gleicht der der ecuadorianischen Küche. Die hat so viel Umami, dass es gut wäre, Sake durch die Kombination mit ecuadorianischer Küche in Südamerika einzuführen.“

Foto: ASI

PROBLEM IN BERLIN: BESTE PRODUKTE

Reto Brändli, 31, der im Mai aus dem im Hotel Kempinski in St. Moritz als Küchenchef ins Berliner Lorenz Adlon wechselte, in der Schweiz u.a. bei Andreas Caminada kochte und in seiner Küche keine „Vakuumsäcklein“ duldet, berichtete dem Schweizer Gault&Millau (der ihn 18 Punkte wert fand) seine ersten Eindrücke von der deutschen Hauptstadtküche: „In Berlin habe ich noch in keinem Top-Restaurant einen gebratenen Fisch serviert bekommen.“ Und auch sein Bekenntnis zu klassischen Luxusprodukten wie Kaviar von Kaviari aus Paris, Taube von Spitzenzüchter Jean-Claude Miéral aus der Bresse oder gut abgehangenes Kalbfleisch aus Bayern unterscheidet ihn von den meisten lokalen Berufskollegen. Es sei gar nicht so einfach gewesen, in Berlin an Produkte zu kommen, die seiner Vorstellung von Spitzenküche entsprechen. „Guter Meerfisch ist echt schwer zu finden, und bis mir jemand Kalbsrücken liefern konnte, der am Knochen sorgfältig gereift wurde, habe ich lange rumtelefoniert.“ Zweieinhalb Stunden setzt der gebürtige Schwyzer Brändli täglich für die Suche nach besten Zutaten ein.

Foto: www.kempinski.com

KEINE VEGANE WEISSWURST IM FESTZELT

Michael Käfer, 64, Münchner Feinkosthändler, trendbewusster Gastronom und Wiesn-Wirt, bietet seinen Gästen derzeit auf der Theresienwiese vegane Wirsing-Tofu-Roulade und einen Global Food Salad mit veganem Pflanzerl, aber trotz aller Medienankündigungen keine Weißwurst aus dem Labor: „Ob vegan oder nicht, die Weißwurst sollte nach Münchner Richtlinien nicht nach zwölf Uhr gegessen werden. Wir öffnen unser Zelt erst kurz vorher. Die Weißwurst haben wir daher nicht im Programm.“ Im Hofbräu-Zelt hingegen werden die Weißwürste aus Erbsenprotein (von Greenforce) serviert (3 Stück für 6,90 € teure Erbsen); im Armbrust-Schützenzelt gibt‘s Seitan-Gulasch, im Paulaner fleischfreie Currywurst. Die Produkte aus dem Labor sind ein Anliegen des ziemlich übergewichtigen städtischen Wiesnchefs Clemens Baumgärtner: „Wir wollen mehr vegane Ernährung auf dem Oktoberfest haben“, denn „die Nachfrage nach veganen und nachhaltigen Produkten auf der Wiesn steigt stetig“. Das erhebt die Maßhalter in den Bierzelten über den Rest der Bevölkerung: In der ernährt sich (laut Erhebung der Bundesregierung 2022) nur 1 % vegan.

Foto: Käfer

AHOI LUKULLISCHES WOHLBEFINDEN

Alexander Ewig, 48, Verkaufschef von Aida Cruises, scheint die Leser der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung für einfältig, kritiklos oder dumm oder alles zusammen zu halten. Er verspricht ihnen in einer ganzseitigen Anzeige für eine Karibik-Kreuzfahrt an Bord der Aidaluna („einer Offenbarung für Gourmets und Gourmands“): „Frische Zutaten von bester Qualität, raffinierte Kreationen und ein zuvorkommender Service sorgen von früh bis spät für lukullisches Wohlbefinden.“ Über Ewigs kulinarische Einschätzungen dürften die meisten FAS-Bezieher hinweglesen, dann derart loben sich ja auch Autobahnraststätten, Flughafen- und Bahnhofsrestaurants. Doch warum verspricht er in dem Inserat – unter dem steht: Verantwortlich im Sinne des Presserechts Alexander Ewig, Senior Vice President Marketing & Sales – frische Zutaten? Die sind bekanntermaßen auf fernen Kreuzfahrtrouten in den angelaufenen Häfen weder für die Essgewohnheiten der Passagiere noch in verlässlicher Menge und Hygiene garantiert und müssen deshalb per ausgetüftelter Logistik tiefgekühlt oder -gefrorenen herbeigeschafft werden. Auf die Frage, wie er natürliche Frische definiert, gab Ewig, der zuvor bei Saturn („Geiz ist geil“) war, keine Antwort.

Foto: Aida

FERIENJOB: ALLEIN 20 GÄSTE BEKOCHT


Dylan Ricciardi, 17, Commis in der Küche des zu Zeiten von Jean-Claude Vrinat gerühmten Pariser Restaurants Taillevent, erprobte sich während der diesjährigen Sommerferien als Küchenchef eines Popup-Lokals. Im alten Gewächshaus der Hoteliers des Château du Hameau de Hauger am Ärmelkanal bot er im Juli/August an zwei Abenden in der Woche für jeweils 20 Gäste ein 5gängiges Menü für 55 €, lediglich unterstützt von seinem gutmütigen Vater im Service und zwei ungelernten Küchenhilfen. Sein Motiv: Im Taillevent seit Ende der Lehre mit Gemüseschnippeln und Kartoffelpüree beschäftigt, „vermisse ich das Kochen, Entwickeln eigener Rezepte und Arbeiten mit edlen Produkten wie Fisch und Fleisch“. In einer improvisierten kleinen Küche, für deren Ausstattung er sein Erspartes opferte, bereitete er in Kiwisaft marinierte Muscheln mit Essigvinaigrette oder als Amuse-bouche einen mit Eis aus Trockenfrüchten und gerösteten Kräutern gefüllten Cornet, den er mit blanchiertem Mangold umwickelte und frischen Beeren garnierte. Sein Fazit: „Die Gäste glauben, in ein echtes Restaurant zu kommen, aber das ist es nicht. Für mich ist es ein Test, ein Training, weil ich dank des Feedbacks Fortschritte mache. Es wird noch 10 Jahre dauern, bis ich zu einem eigenen Restaurant fähig bin… Ich würde gerne nach Japan gehen, um mitzukriegen, was man mit Fisch machen kann.“

Foto: france3-regions.francetvinfo.fr/

KINCH: FINE DINING NUR FÜR REICHE?

David Kinch, 61, Dreisternekoch im kalifornischen Los Gatos, schließt sein Restaurant Manresa zum Jahresende, weil „ich nicht Teil eines langsamen Niedergangs sein möchte“. Die Begründung ist doppeldeutig. Zum einen bekennt der Bachelor of Culinary Art der Johnson & Wales University in Providence, der zur Fortbildung in Japan und den Schweizer Stuben in Wertheim-Bettingen sowie bei Marc Meneau (Burgund) und Pedro Subijana (San Sebastian) kochte: „Manresa war in den letzten 20 Jahren im Wesentlichen mein ganzes Leben. Man konnte mich immer in der Küche finden, da ich stolz darauf war und es liebte, ein arbeitender Koch mit unserem Team hinter den Herden zu sein. Das ist eine knochenharte Arbeit, die von dir verlangt, dass du jeden Tag voll da bist, ohne Ausreden.“

Zum anderen konstatiert er pessimistisch: „Erfolgsverwöhnte Köche müssen ihr Konzept überdenken. Restaurants voller Kellner – egal ob sie Jeans-Tops in Distressed-Optik oder weiße Jacken tragen – werden verschwinden. True Fine Dining wird in ein Milieu nur für die Reichen zurückkehren. Wenn das Lohngefälle weiter zunimmt, wird die ganze Demokratisierung der letzten 20 Jahre verschwinden. Stattdessen wird es in Amerika immer mehr High-End-Counter-Restaurants geben, in denen Sie vielleicht 14 Gäste haben und 2 Besetzungen pro Abend machen, für etwa 500 $ pro Gast und minimalem Service.“ Sein Rest von Optimismus: „Feines Essen als herausragendes Erlebnis wird nicht verschwinden. Es wird immer Leute geben, die das fordern, aber es gibt Dinge, die sich ändern müssen. Das fangen wir jetzt an zu sehen.“

Bis Jahresende serviert Kinch kein Best of, sondern gewohnte Kreativität. Danach begnügt er sich mit dem Casual Dining in seinen anderen Lokalen, Bywater (New Orleans-Küche) und Mentone (mediterran) sowie seiner Bäckerei Manresa Bread.

Foto: Courtesy Manresa

REZEPT-SCHÜTZERIN BORCHIO-FONTIMP

Alexandra Borchio-Fontimp, 41, Mitglied des französischen Senats (Republikaner) und gelernte Journalistin mit einem Master in Informationswissenschaft der Uni Nizza, will per Gesetz die besten regionalen Gerichte des Landes „wie literarische, musikalische oder künstlerische Werke“ schützen und dadurch verhindern, dass Restaurantketten und Foodindustrie die Rezepte sehr beliebter Gerichte „auf respektlose Weise bis zur Unkenntlichkeit für den finanziellen Gewinn manipulieren“. Die Politikerin sieht sich als Anwalt jener Hüter traditioneller französischer Gerichte, die rot sehen, wenn grüne Bohnen dem Salat Niçoise hinzugefügt werden, das normannische Milchreis-Dessert Tergoule mit Yuzu (statt Zimt) aromatisiert oder die Lauchpastete Flamiche aus der Picardie mit Camembert oder sonst was gefüllt wird. Die Senatorin möchte sich nicht gleich „als Küchenpolizistin aufstellen und Bußgelder verhängen“, sondern glaubt, dass „Bewusstseinsbildung funktionieren kann“.

Foto: lesrepublicains-senat.fr/

WEINPROBE: CHARDONNAY WAR WASSER


Michael Apstein, 75, Weinkolumnist für u.a. Boston Globe, San Francisco Chronicle und Decanter, probierte in der diesjährigen, stets US-weit beachteten Critics Challenge in San Diego, einen 2020er Chardonnay von Black Stallion aus dem Napa Valley und fand, dass dieser „sehr blasse Wein, der aussah wie ein Chardonnay ohne Eiche, nach Wasser schmeckte. Zuerst dachte ich, jemand würde uns einen Streich spielen, um zu sehen, ob wir wach sind. Wir haben die zweite Flasche probiert, und das war auch Wasser.“ Und zwar jenes mal 82° C heiße Wasser zur Sterilisierung der Flaschen. Der Harvard-Prof. Dr. med. Apstein süffisant: „Sie hätten das für den Rosé-Flight machen sollen. Da hätte ein Glas Wasser eine Medaille bekommen können.“

AMTSHILFE FÜR FREUND DANIEL HUMM

Christian Bau, 51, Dreisternekoch im saarländischen Perl-Nennig, servierte mal wieder seine öffentlich überschwängliche Kollegialität. Diesmal in einem Zusammenhang, der zumindest zeitlich besteht. Am 14. Juni erschien im US-Business Insider ein – in den sozialen Medien breitgetretener Artikel – über den seit letztem Sommer veganen New Yorker Dreisternekoch Daniel Humm unter der Überschrift „Eleven Madison Park went vegan. It’s been an understaffed, chaotic mess of a year“. Am 19. Juni schrieb Bau in der Welt am Sonntag, wo er eine 14tägliche Kolumne hat, außer der Reihe einen Artikel unter dem Titel „Erbsen, die umhauen“. Beide Beiträge beschäftigten sich mit Humms veganer Küche in höchst unterschiedlicher Weise.

Business Insider: „Insider sagen, dass das Restaurant, seit es fleischfrei ist, eine ‚shit show‘ ist… Ein ehemaliger Mitarbeiter erzählte uns, dass Humm das Restaurant zwar als ‚farm to table‘ beschreibt, es aber eigentlich ‚farm to trash‘ ist… Mittlerweile ist das Restaurant an keinem Abend mehr voll besetzt… Daniel Humm ist mehr unterwegs als in der Küche. Durch die läuft er nur noch, um sie VIP-Gästen vorzuführen… Schlechte Kritiken hageln weiter auf das Eleven Madison Park ein.“

Bau berichtete, dass ihn bei einem Besuch im Mai die neue Küche „umgehauen hat… Nirgendwo sonst kann man zu exzellentem Essen und herausragendem Service auch noch dieses grandiose New-York-Gefühl erleben. Der große Speisesaal ist rappelvoll mit interessanten Menschen.“

Baus kollegialer Freundschaftsdienst konnte die kritische Berichterstattung nicht stoppen. Am 22. Juni meldete sich beispielsweise der Stern: „Chaos im einst besten Restaurant der Welt“, es „scheint heute nur noch ein Abziehbild seiner selbst.“

Foto: Victor’s Residenz-Hotel Schloss Berg

KAVIAR-ERFOLGSDUO KELLER & BISHOP

Thomas Keller, 66, ergänzt sein Ensemble von Dreisterne-Restaurant French Laundry, zwanglosem Bouchon Bistro, kalifornisch-mexikanischem Küchenmix im La Calenda, Brathähnchen-Dorado Ad Hoc + Addendum und Konditorei Bouchon Bakery an der Washington Street in Yountville um das, was den happy few des Nappa Valley dringlich fehlte: Kaviar und Champagner. Seit letztem Juni als Pop-up präsentiert, bleibt es nun dauerhaft als Regiis Ova Caviar & Champagne Lounge. Das königliche Ei bietet, was sein nobler lateinischer Name erwarten lässt: Kaviar pur von 15 g für 50 $ bis 250 g für 995 $, Champagner glasweise bis 85 $ und 7 Flaschen für mehr als 1000 $, aber auch Caviar-Tapas von 45 bis 70 $ sowie Beliebtes von Tatar und Sashimi bis rohes Gemüse mit „grünem göttlichen Dressing“ und Schweinswürste mit Aïoli, zu denen man sogar Wein aus Frankreich und der Region zu zweistelligen Flaschenpreisen trinken kann. Die 90-Plätze-Lounge betreibt Keller gemeinsam mit Shaoching Bishop, 54, mit der er 2018 auch das Kaviarhaus Regiis Ova in Napa Valley gründete. Es führt Zuchtkaviar aus Kalifornien, Uruguay und China. Für deren Auswahl bereiste Bishop, die chinesische Literatur in Zhejiang und Betriebswirtschaft in Berkeley studiert sowie als Investmentanalystin bei Goldman Sachs an der Wallstreet und CEO bei Sterling Caviar in Sacramento gearbeitet hat, sechs Monate lang die große Kaviarwelt.

Foto: Regiis Ova

MAG AMEISEN: KOLUMBIENS STARKÖCHIN

Leonor Espinosa De La Ossa, 59, Doyenne der Küche Kolumbiens, wurde in der 2022er Ausgabe von The World‘s 50 Best zur besten Köchin der Welt erkoren. Die Küchenchefin und Patronne des Leo in Bogotá hatte Wirtschaftswissenschaften und Bildende Kunst studiert, sich dann für Marketing und Werbung interessiert (und Erfolg in heimischen Agenturen) und sich schließlich im Restaurant Claroscuro in Bogotá umgetan, ehe sie 2007 ihr eigenes Restaurant eröffnete. In dem fiel sie zuerst der New York Times auf, die 2008 meldete: Ihre „kulinarischen Experimente sind ebenso köstlich wie eigenartig: Schnecken-Carpaccio mit Olivenöl und Zitrone, mit Kaninchen gefüllte Krapfen, gebratener Thunfisch in Kruste aus sautierten Ameisen“.

In ihrer gegenwärtigen Schaffensperiode bietet sie im Menü beispielsweise diese 8 Vorspeisen: Muscheln mit grüner Kokosnuss und rosa Schaum aus Bio-Salz; getrocknete Garnelen und Meeresschnecken mit Wildkräutern, die zwischen Orchideen an der Pazifikküste wachsen; Thunfisch mit Blattschneiderameisen, Tapioka-Cracker, Zuckerrohrhonig und Algen; Königskrabbe als Dim Sum; Wels mit Mojojoy-Öl (aus dehydrierten und pulverisierten Kakerlakenlarven) und kreolischem Safran; Palmenherz mit Mojojoy und Huito (Feigen-ähnlich); gesalzener Marshmallow aus dem Schwanz des Amazonas-Kaimans und Palmenherz; Bouillon aus geräuchertem Rochen mit Ají Negro (gekocht aus Zitronenameisen und fermentiertem Maniokasaft) und Zitronenkraut. Danach Denver Cut Beef, in Salzlake eingelegt, mit Farnblättern geräuchert und in Farnöl gebraten, zu Püree aus heimischen Kartoffeln und Käsesorten; Eintopf aus geschmorter Ziege, Palmgemüse und wildem Wüstenoregano oder aus Savannenschwein, Bohnen, Speck und rotem Reis; gepökelter Lammhals in einer mit Kakao aromatisierten Demi-Glace und dehydriertem Gemüse (Kohlblätter, Salat und Ocañera- Zwiebel). Und als Desserts ein Eis aus weißem Kakao (Macambo) mit Praline aus Karamell, Cashew- und Erdnüssen, Mispel und Kakao oder Kartoffelgelatine mit Coquindo (seltene Heilpflanze aus dem Amazonasgebiet) mit Güllesalz (salt of Manure). Zum Schluss je 3 Kaffeesorten und Kakaotrüffel als Demonstration des Aromenspektrums.

PERLHUHN IN TALLO(KOHL)BLATT AUF MAIS

Zu den Gerichten ihrer Mutter kredenzt Sommelière Laura Hernández auch gern Cocktails mit Kräutern und Früchten ihres Territorio: Páramo (Lorbeerblatt und Rosmarin), Desierto (Kaktusfeige), Bosque de Niebla (Honig aus Anden-Wäldern), Piedemonte (Kakaoblätter und Arauca-Kakaobohnen), Montaña (destillierte gelbe Gulupa-Passionsfrucht).

Fotos: theworlds50best / Restaurant Leo

IM KÜCHENDIENST FÜR PRÄSIDENTEN*

Guillaume Gomez, 43, der von 1998 bis letzten Februar die Hausherren im Pariser Élysée bekochte (seit 2013 als Küchenchef) und nun Persönlicher Beauftragter des Präsidenten der Republik für Gastronomie und Ernährung ist, überreichte an Himmelfahrt in Wahington Cristeta Comerford, der Küchenchefin des Weißen Hauses, die zweithöchste Stufe (Officier) des Ordre du Mérite agricole. Danach veröffentlichte er in den sozialen Medien ein Dutzend Fotos, die ihn am und im Weißen Haus sowie bei der Ordenszeremonie in der Residenz des französischen Botschafters zeigen. Wofür seine Kollegin die (vom französischen Landwirtschaftsminister bereits am 31. Januar 2020 verliehene) Auszeichnung bekam und was er mit ihr im Rahmen seiner „diplomatie culinaire“ zu bereden hatte, erwähnte Gomez mit keinem Wort. Laut Ordensregel ist es die „Belohnung von Verdiensten auf den Gebieten der Land-, Forst- und Fischereiwirtschaft, die aber nicht zu einer Verleihung des Ordens der Ehrenlegion ausreichen“.

* Gomez im Weißen Hauses mit dessen Küchenchefin Cristeta Comerford (r.) und Pâtisserie-Chefin Susan Morrison; die Köchinnen sind seit 1995 im Präsidentendienst.

AMERICAN EXPRESS-ANBETUNG DES KOCHS

Emma Cambol, 36, Head of US Platinum & Centurion Products at American Express im Range einer Vice President (und Master of engineering management), erstaunte 100 Platinum-Karteninhaber mit einer vermeintlich großzügigen Geste. Diese Hundertschaft hatte in einem Amexco-Sonderangebot jeweils 2 Plätze à 1400 $ für ein Menü gebucht, das Noma-Chef René Redzepi an 4 Abenden für jeweils 50 Gäste bieten wollte. Da der Koch aus Kopenhagen aber an Corona erkrankte, gab’s zu den Hors d‘œuvres aus Seeigeln, knusprigen Blumenkohlwaffeln und in Entenfett gebratenen Ebelskivers (Pfannküchlein) ein Entschuldigungsvideo des Unpässlichen und anschließend das Menü und seine Naturwein-Begleitung umsonst: Babyerbsen in gelierter Pilzbrühe; eine süße knusprige weiße Rübe zur Seezunge, die mit Mousse gefüllt und mit einer Paste aus getrockneten Tomaten und Yuzo-Chili gefüllt war; Königskrabben mit Ei und schwarzem Trüffel in tellergroßer Krabbenschale; saftig gebratener Kabeljau mit Osietra-Kaviar; mit Blütenblättern bestreuten Maine-Lobster sowie Joghurtdessert mit Mohn, Kardamom und Kamille. (Zuzüglich einer Give away-Tüte mit einer kleinen Schale der schwedischen Keramikerin Katrine Binzer.)

Diese Geste kritisierte Eater, die Food-Website von Vox Media, als „Anbetung des Kochs, die wir nicht brauchen“ und monierte: „Will American Express wirklich die Auffassung verbreiten, dass ein Abendessen wertlos ist – dass es nicht einmal einen einzigen Dollar kosten sollte –, wenn kein Starkoch die Dinge überwacht? Das ist kein großartiges Signal für American Express, wenn es die Arbeit in Küche und Restaurant sowie der Lieferanten so unterschätzt. Das Verschenken von kostenlosen Mahlzeiten wie diesen erinnert an das Klischee, dass die Küche das Produkt eines begnadeten Kochkünstlers ist und nicht das Ergebnis gemeinschaftlicher Inspiration und kollektiver, mühsamer Arbeit.“

Foto: American Express

„BEIM KOCHEN GEHT‘S NICHT UM TECHNIK“

Dominique Crenn, 56, gebürtige Bretonin mit Kochausbildung in San Francisco und erste Dreisterneköchin in USA, auf die Frage, warum sie mal wieder als Juror zur französischen Top Chef-TV-Serie kam: „Ich finde es interessant und wichtig, dass junge Köche auch etwas anderes sehen und hören als das, was ihnen Frankreich anbietet. Das eröffnet andere Horizonte, eine andere Vision und Kreativität. Die französische Küche ist toll, aber ein festgelegter Weg, und man muss aus dem herauskommen, was man jeden Tag tut. Ein Koch sollte immer neugierig sein.“ Crenns weitere Erkenntnisse
• für junge Köche: „Beim Kochen geht es nicht um Technik. Kochen lernen bedeutet, sich in ein Gefühl, in eine Geschichte zu versetzen, die Natur und das Ökosystem zu betrachten und sich für sie zu interessieren. Kochen ist, dass Menschen die Natur betrachten und die Natur den Menschen Ideen zum Kochen gibt… Generell denke ich, dass Köche etwas sensibler werden müssen… Wir müssen aufhören, zu viele Dinge in ein Gericht zu packen. In der Küche decken wir nicht zu, sondern decken auf.“
• über den Mangel an Köchinnen: „Junge Mädchen, die zögern, in diesen Beruf einzusteigen, sind nicht das Problem, sondern die Küchenchefs sind es. Auch wenn wir noch so viel über eine Evolution sprechen, die Sprache der Chefs ändert sich kaum, immer heißt es: ‚Ich weiß nicht, ob ich Frauen einstellen soll, die wollen doch eine Familie gründen.‘ Das finde ich schrecklich! Führungskräfte müssen ihre Einstellung ändern.“
• zu Frankreich, in dessen Hauptstadt sie seit längerem ein Zweitrestaurant plant: „Ich saß neulich während eines Abendessens neben Emmanuel Macron und sagte ihm, dass Frankreich zu bürokratisch sei und dass es aufwachen müsse. Es ist eines der schönsten Länder der Welt und in Sachen Gastronomie, Mode und Kunst großartig, aber das Land versteht es nicht, junge Menschen zu ermuntern.“

Foto: M6

„MAN SCHMECKT WIRKLICH GRÄTE“

Jürgen Dollase, 73, Gastronomiekritiker und Chef von „EAT – DRINK – THINK die Onlinezeitung an der qualitativen Spitze des kulinarischen Marktes“, kommentierte letzten Samstagmittag für die Teilnehmer des Wochenendarrangements „Kunst trifft Kochkunst“ der Biberacher Galerie Uli Lang und der Traube-Tonbach wieder das Menü von Torsten Michel in der Schwarzwaldstube. Dabei lobte er:
ﻋ Die Marinade von geschmortem Rinderhals zum Carpaccio und Tatar vom badischen Weiderind sorgte „nicht nur für einen wunderbar abgerundeten cru-cuit-Kontrast“, sondern hatte „auch eine hohe assoziative Ladung“.
ﻋ Zu jungen Erbsen mit sanft gegartem Landhuhn-Eigelb und luftgetrocknetem Rinderschinken bringt die Rinderjus-Emulsion „einen vollen, fleischigen, nie ‚bitter und wieder montierten‘ Geschmack.“
ﻋ Dass man beim Jus von gerösteten Zanderkarkassen mit altem Sherryessig für den Zander „zu Beginn eine klassisch reduzierte Sauce von einiger Dichte schmeckt, der dann eine Art Blick in die aromatischen Tiefen der Herstellung folgen kann: man schmeckt wirklich Gräte, und zwar geröstete Gräte.“
ﻋ Beim Lamm komme „ein besonderer Effekt von einem Fleisch-Gemüse-cru-cuit-Kontrast mit einem halbierten Salatherzen, das mit diversen Mikroelementen eine wunderbar frische und variantenreiche Begleitung abgibt“.
ﻋ„Dass hier viel mit dem assoziativen Kontext gearbeitet wurde – was ich beim Essen den Gästen ausführlich erläutert habe – rannte bei den Gästen, die zum größten Teil sehr erfahrene Gourmets sind, offene Türen ein.“

Allen Kunstfreunden, die ihn nicht hören konnten oder wollten, und Genussmenschen wird dieses Dollase-Lob Appetit auf Michels Gerichte machen: „Man spürt es sofort, wenn eine Küche will, dass man sich ‚zu Hause‘ fühlt und dann alle Finesse auspackt, um es einem dort noch ganz besonders angenehm zu machen.“

Foto: © EAT-DRINK-THINK.de

LABOR FÜR LÖWEN-BURGER & TIGER-STEAK

Yilmaz Bora, 31, türkisches Cleverle und Veganer, erkannte den Markt des zellbasierten Laborfleisches von Raubtieren als „phantastisches Geschäft“. Bora, der sein siebenjähriges Jurastudium an der privaten Atılım Üniversitesi in Ankara 2918 mit dem Bachelor abschloss und 2020 an der Harvard Business School das Credential of Readiness (einen Einführungskurs in die Grundlagen des unternehmerischen Denkens) belegte sowie in London als Managing Partner des eigenen Risikokapitalfonds Ace Ventures in vegane Start-ups zu investieren begann, kam 2021 auf die Idee, den Carnivoren statt des traditionellen, klimaschädlichen Rind- und Schweinefleischs exotisches Wild aus dem Bioreaktor anzubieten.

Seine dazu diesen Monat in New York gegründete Primeval Foods konzentriert sich „im Hinblick auf die Instagrammability zunächst auf den Löwen als das beliebteste Wildtier der Welt“. Ihm sollen Tiger und Elefanten mit dieser Werbebotschaft folgen: „Großkatzen sind Fleischfresser mit einem ausgeprägten Mobilitätsmuster, das ihr einzigartiges Aminosäure- und Proteinprofil ergibt. Elefanten sind kolossale Pflanzenfresser, die weite Strecken zurücklegen, und der Fettgehalt ihres Muskelgewebes sorgt für ein außergewöhnliches Umami-Erlebnis.“

Die Löwenzellen für seine Zucht bezog Bora, um US-Tierschutzprobleme zu umgehen, von einem „reichen Menschen, der einigen exotischen Tieren einen Zufluchtsort in Ankara geschaffen hat“.  Seine Burger und Steaks möchte er nicht Laborfleisch nennen, weil die „möglicherweise abschreckend klingenden Labore“ nur Forschung und Entwicklung leisten und die „Produktion in Bioreaktoren nach denselben Strukturen wie zur Herstellung von Bier oder Joghurt“ erfolgt. Dabei sind wir „sehr flexibel in der Schaffung eines Geschmacks- und Sinneserlebnisses“, weil das Gehirn der Konsumenten „keine Hintergrunddaten über den Löwengeschmack hat“.

Bora will nächstes Jahr auf den Markt und über die Werbewirksamkeit von Löwensteaks in New Yorker und Londoner Sternerestaurants ins Geschäft kommen. In die weitere Zukunft hat er auch schon vorausgedacht. Kultiviertes Fleisch von ausgestorbenen Tieren sei theoretisch machbar, „wenn sie in den letzten zwei Jahrzehnten verendeten, aber für etwas wie Dinosaurier halte ich es nicht für möglich“.

Foto: Ace Ventures

EIN PROSIT DER BIODYNAMIK: BOB PARKER


Robert Parker, 74, dessen Punkte seit dem Bordeaux-Jahrgang 1982 die Rotweinwelt prägten, verlässt nach fünf Jahren seinen Ruhestand für den Dokumentarfilm Eastbound, Westbound, der nächsten Monat beim Festival in Cannes Premiere hat. Darin kommen je 3 Winzer im Bordelais und Napa Valley in 82 Minuten zu der nicht neuen Erkenntnis, dass Amerika eine weinbauliche Freiheit bietet, die Frankreich fehlt, und Frankreich die Kultur, Tradition und mythischen Geschichten hat, nach denen sich Amerika sehnt. Aus alter Freundschaft zu dem Film-Interviewer Jeffrey Davies, der vom Journalismus in den Weinhandel wechselte, lässt sich Parker in seinem mopsfidelen Haus in Parkton (nördlich von Baltimore) zum Wein vernehmen und verkostet vollmundig die Vorzüge der Biodynamik im Weinbau.

Foto: © Eastbound, Westbound

425 PARK AVENUE: KEIN VEGANES LOKAL

Daniel Humm, 45, Küchenchef und Mitinhaber des seit letztem Sommer nur noch veganen New Yorker Restaurants Eleven Madison Park (3 Sterne), weil „pflanzliche Lebensmittel besser für unseren Planeten und unsere Gesundheit sind“, bewirkte mit diesem Rezept allerlei Appetitlosigkeit. Zuerst mäkelte im Herbst die ihm bislang höchst gewogene New York Times: „Bevor das Restaurant vegan wurde, erzielte Herr Humm reinere, tiefere Ergebnisse aus Gemüse.“ Dann beendete die Londoner Hotel-Ikone Claridge’s, in der er seit 2019 das Restaurant Davies and Brook führte, zum Jahresende die Zusammenarbeit mit ihm, weil er auch hier nur Veganes bieten wollte und das Haus fürchtete, „Tausende von Stammgästen zu verärgern“. Nun wies ihn diese Woche der New Yorker Immobilienentwickler David W. Levinson aus dem eröffnungsreifen 47-stöckigen Prachtbau 425 Park Avenue in Manhattan. In dem von Norman Forster, der als bedeutendster Vertreter der Gegenwartsarchitektur gilt, konzipierten Bürohaus (Miete pro m² bis 980 $) waren die untersten beiden Etagen für Humms weiteres Lokal namens Four Twenty Five vorgesehen. Das hatte der Starkoch bei der Grundsteinlegung 2015 als „schickstes Restaurant in New York“ und „sein neues Flaggschiff“ avisiert. Weil es auch hier nur Pflanzenkost geben sollte, kündigte ihm Levinson süffisant: „Ich habe großen Respekt vor Daniel Humms Entscheidungen. Die Welt braucht Menschen wie ihn. Aber wir wollten kein veganes Restaurant im 425 Park Avenue. Wir wollen einen Ort, an dem unsere Kunden mehrmals im Monat einkehren.“ Humm, der auch das als Hauskantine vorgesehene Lokal im 27. Stock verliert, war bislang sprachlos – zuletzt sah man ihn in Paris mit der vegan lebenden Schauspielerin Demi Moore in der ersten Reihe einer Chloé-Modenschau. Seine Nachfolge in beiden Restaurants soll der in den USA erfolgreiche Elsässer Jean-Georges Vongerichten antreten.

Foto: facebook.com/425ParkAvenue

FREUNDE: HOBBYKOCH, KÖCHE-INSIDER*

Gautier Battistella, 45, von 2008 bis 2013 Autor der Michelin-Zeilen über die französischen Drei- und Zweisterneköche, zuvor Journalist und seither Schriftsteller, bewirbt derzeit seinen dritten Roman: „Chef“. Er schildert die beruflichen Erfolge und menschlichen Verfehlungen von Paul Renoir, der sich just erschießt, als ihn seine Kollegen zum „besten Koch der Welt“ krönen und Netflix anrückt, um sein Leben zu verfilmen. Die Motivsuche in der Öffentlichkeit, Gastroszene und Familie wird zum Schlüsselroman der modernen Grande Cuisine. Er enthüllt Starköche-Egos und Schandtaten von Sexismus bis Vergewaltigungen. Er erzählt, wie Renoir an der Seite von Bocuse, Loiseau und Ducasse den Erfolg der Nouvelle Cuisine und die Entwicklung des Starkults der Köche begleitet. Und er würdigt die Rolle der Frauen: Denn Paul lernt alles von seiner Oma, einer Kollegin und Freundin der legendären Eugénie Brazier in Lyon (bei der Paul Bocuse als Jungkoch anfing und, lebte er noch, nachlesen könnte, wie Frauen die Gastronomie erfanden, bevor Männer sie sich zu eigen und zum Medienhype machten. Aus der französischen Gastroszene kommt Lob für das „Buch genau zum richtigen Zeitpunkt“ (Éditions Grasset, 336 pages, 22 €).

* Gérard Depardieu, Gautier Battistella; Foto: de-de.facebook.com/gautier.battistella

STRENGE KINDHEIT GUT FÜR DIE KÜCHE

Glenn Viel, 42, Polizistensohn aus Versailles und Dreisternekoch im Oustau de Baumanière (Provence), über den Status seines Standes: „Als ich mit 16 Koch werden wollte, galt das als Versagen. Heute wölbt sich mir die Brust, wenn ich sage, dass ich Koch bin.“ Der mittelmäßige Schüler begann die Lehre, weil ihm die Eltern den Schauspielerberuf ausredeten und er bei der Aufnahmeprüfung für die Polizei das Diktat fürchtete. Er hoffte, endlich der strengen Erziehung durch seinen autoritären Vater zu entkommen: „Ich wusste ja nicht, dass die Küche auch militärisch ist. Es war schlimmer als zu Hause. Zum Glück war ich durch meine Kindheit darauf vorbereitet, ohne die hätte ich sicherlich hingeschmissen.“ Er wurde mit lauwarmem Milchreis groß und mit stehenden Schwertmuscheln im Gericht „Füße im Wasser“ berühmt.

Foto: © M6

EIGENER GARTEN GUT FÜR DIE KOCHKRISE

Sang Hoon Degeimbre, 52, bilderbuchschön anrichtender Zweisterne-Koch des L‘ Air du temps im wallonischen Eghezée, kommentierte auf Fragen des belgischen Wirtschaftsmagazins Trends-Tendances die Entscheidung seines Brüsseler Kollegen Christophe Hardiquest, 45, das Bon Bon Ende Juni nach jahrelangem vergeblichem Streben zum dritten Stern zu schließen, „um meinen Kopf frei zu bekommen auf der Suche nach Erneuerung, einem neuen Leben, neuen Projekten“. Degeimbre, gebürtiger Südkoreaner mit drei weiteren Restaurants (in Brüssel und Gent): „Wir haben gerade eine Zeit durchlebt, die uns alle dazu gebracht hat, über die Relevanz des Berufs nachzudenken. Christophes Antwort lautet: ‚Ich möchte etwas anderes, ich möchte reisen‘. Meine ist es, meine Bestimmung mit der eines Ortes zu verbinden, an dem ich meine eigene Vielfalt finden kann. Wenn ich entfliehen muss, gehe ich in meinen Garten … Ich mache auch weiter, weil ich jungen Menschen ermögliche, Freude zu haben und sich zu entfalten. Ich bin vielleicht idealistisch, aber das ist es, was mich dazu bringt, meinen Beruf zu lieben.“

Foto: wbpstars.com/

NEW YORKER HUHN EMPÖRT SINGAPUR


Clarissa Wei, auf Taiwan lebende US-Journalistin, die in renommierten Medien gedruckt und gesendet wird, wurde von der New York Times aufgeboten, in deren diesjähriger Rubrik „Was wir zum chinesischen Neujahrsfest kochen“ ein Singaporean Chicken Curry zu präsentieren. Das in der Zeitung ganz manierlich aussehende Gericht bewirkte durch die Video-Ausstrahlung der Zubereitung 4.000 empörte Stellungnahmen aus Singapur im Netz – beispielsweise: Man müsse angesichts dieser Curry-Beleidigung die Polizei rufen. In den Chor der Kritiker stimmten sogar staatliche Stellen ein und kommentierten auf Facebook das Video. Der Notfalldienst Singapore Civil Defence Force: „Um solche (kulinarischen) Katastrophen in Ihrer Küche zu vermeiden, finden Sie hier einige Tipps, damit Ihr singapurisches Hühnercurry nicht wie die Folgen eines unbeaufsichtigten Kochvorgangs in Abwassersauce aussieht“. Das vor allem um mehr Lebensqualität bemühte Housing and Development Board: „Auf keinen Fall in die Spüle schütten… entsorgen Sie es im Müll.“

PS: Nach 10 Tages reagierte die New York Times auf Instagram: „Nachdem wir Ihr Feedback erhalten haben, haben wir das Video entfernt und das Rezept präzisiert.“

Foto: nytcooking



MISTERIÖS: BRUNA UND BRUNO GIACOSA

Bruna Giacosa, offenbarte in einem Interview mit dem Wine-Searcher, warum ihr „fantastischer Vater“ 2006 und 2010 keinen Barbaresco oder Barolo anbot, obwohl die meisten Winzer in der Langhe die Jahrgänge für ausgezeichnet bis hervorragend hielten. Mangels öffentlicher Erklärung wurde beide Male über Probleme im Keller spekuliert. Nun die Aufklärung: 2006 erlitt der 77-jährige einen Schlaganfall und rief danach seine das Weingut leitende Tochter an: „Oh Bruna, ich möchte keinen 2006er abfüllen, weil ich diesen Jahrgang hasse. Es war kein guter für mich.“ 2010 brach er sich bei einem Sturz den Oberschenkelknochen und bat während der Ernte telefonisch: „Bruna, Bruna, ich will nicht abfüllen.“ Und wieder sagte die Tochter: „Oh Papa, ich tue, was immer du willst.“

Foto: Casa Vinicola Bruno Giacos

Julie Cavil, 45, Kellermeister bei Krug, die als Account Director der Pariser Werbeagentur TBWA ihre Liebe zum Wein entdeckte, mit 30 (und bereits Mutter) in Reims Önologie zu studieren begann und seit letztem Jahr einen der prestigereichsten Champagner verantwortet, auf die Frage nach dem ungewöhnlichsten Essen, das Sie jemals mit einem Glas Krug genossen hat: „gegrillte Zwiebeln auf einem Bauernhof (nahe Jaipur in Indien), die mit ihren vielschichtigen Nuancen und ihrer herrlich abwechslungsreichen Textur wunderbar zu einem Glas Krug Grande Cuvée passten“. Als Henkersmahlzeit wünscht sie sich „frisches und knuspriges Vollkornbrot mit einem reifen Beaufort d‘Alpage, einem Käse aus Savoyen, gepaart mit Krug Collection 1981, serviert bei 12°C!“

Foto: Courtesy Julie Cavil



ENGLISH PROSECCO: MILLIARDÄR DIXON

Mark Dixon, 62, Inhaber der International Workplace Group (IWG, ehemals Regus), auf Platz 1664 der Forbes-Milliardärsliste sowie Besitzer von 4 Weingütern in der Provence, die Rosé in die USA exportieren, und 3 Schaumweingütern in seiner Heimat England, will dort in Kent als viertes ein „Weltklasse-Weingut“ errichten. Das wäre es immerhin flächenmäßig: Stararchitekt Lord Norman Foster, der 85% des Gutshauses und Besucherzentrums unterirdisch bauen will, braucht dafür und den Parkplatz insgesamt die Fläche von mehr als 2 Fußballfeldern. Dixon will dann den in Großbritannien besonders großen Prosecco-Durst spätestens 2025 mit 5 Mio Flaschen stillen. Vom Geschmack seiner Landsleute profitierte der in Monaco residierende Büroraum-Vermieter (3500 Gebäude in 110 Ländern) schon früher: Als er mit 16 die Schule verließ, zog er einen Fahrrad-Lieferdienst für Sandwichs auf, wenig später einen nächtlichen Burger-Service. Sein neues Projekt, von den Umwelt- und Naturschutzbehörden durchgewunken, wurde von den Lokalpolitikern gestoppt: Sie glauben Dixon zwar, dass er „Medway zum Herzen des englischen Weinmarktes machen wird“, fürchten aber verstopfte Straßen durch den Besucher- und Geschäftsverkehr. Dixon-Statthalter Gary Smith will „nun mit dem Medway Council zusammenarbeiten, um detaillierte Antworten auf die wichtigen Fragen der Stadträte zu geben“.



SIEGER DER BURGER-WM IN DALLAS

Benoît Sanchez, 44, Küchenchef des Tatoué toqué in Tours, Gewinner des Burger-Wettbewerbs auf der letzten Sirha in Lyon (Frankreichs größter Lebensmittel-Messe) und Prophet der Burgernomie, meldete für die World Food Championships in Dallas, um „der Welt zu zeigen, dass der Hamburger kein Junkfood ist“. Sanchez, der schon Burger mit Bœuf Bourguignon, Coq au Vin, kandierter Schweinsbacke, marinierter Forelle und gebratenem Hummer bot, gewann in Lyon mit einer Bresse-Huhn-Kreation, garniert mit paniertem Saint-Félicien (Rohmilchkäse) und Reduktion von Hühnerbrühe mit schwarzem Knoblauch. In Dallas wollte der ehemalige Rugbyspieler (1,86 m, 150 kg) und „König des französischen Burgers“ (Le Monde) mit einer Interpretation des Lièvre à la royale „unter die besten 10“ kommen; gegen 31 Konkurrenten aus der Neuen Welt, darunter 5 Frauen. Sanchez scheiterte – schon auf dem Flughafen in Paris. Weil er keine Bescheinigung für eine Aktivität von nationalem Interesse vorweisen konnte, verweigerten die USA die Einreise. Zudem erfuhr der von den WM-Veranstaltern nicht hinreichend informierte Franzose: Hätte er den Reiseantrag gestellt, wäre er abgelehnt worden. Die nicht von amtlichem nationalen US-Interesse gewesene Burger-WM und die 7500-$-Preisgeld gewann Mike Johnson aus St. Louis mit einem vom Sponsor geforderten Impossible Burger, der mit Bierkäse aus Brauerei-Sud getoppt war.

Foto: Courtesy World Food Championschips

AUS IN LONDON FÜR VEGANER HUMM

Daniel Humm, 45, Küchenchef und Mitinhaber des seit Juni nur noch veganen New Yorker Restaurants Eleven Madison Park (3 Sterne) und Lebensgefährte der veganen Milliardärin Laurene Powell Jobs (58 und Witwe von Apple-Gründer Steve Jobs), beehrte letzte Woche die Weltklimakonferenz in Glasgow und verkündete: „Meine Lebensaufgabe ist es, pflanzliche Lebensmittel köstlich, magisch und luxuriös zu machen“, weil sie „besser für unseren Planeten und unsere Gesundheit sind“. Auf dem Heimweg erlebte er beim Zwischenstopp in London, wie schwer man es als Weltverbesserer hat. Die Hotel-Ikone Claridge’s, in der Humm seit 2019 das Restaurant Davies and Brook führt, beendet zum Jahresende die Zusammenarbeit mit ihm, weil er auch hier nur Veganes bieten wollte. Das Haus fürchtete, wie ein Mitarbeiter der Daily Mail sagte, „Tausende von Stammgästen zu verärgern“. Humm, dessen New Yorker Neuausrichtung konzeptionell Lobende wie handwerklich Kritisierende fand (siehe Humm-Beitrag vom 1. Oktober auf Seite 2), hatte 2019 euphorisch verkündet: „London bietet einen unglaublichen Blick auf die Welt“ – aber mit schlechten Aussichten für Alleinseligmachendes?

Foto: Claridge’s

KAFFEE 2022: LABOR STATT BOHNEN

Maricel Sáenz, 29, gehört zu jenen Mitmenschen, die den Eindruck vermitteln: So besorgt ums Klima wie Greta Thunberg ist nur noch die Industrie – jene Unternehmen, die uns voller Sorge um den Planeten ihre Produkte aus dem Labor servieren wollen. Frau Sáenz, die einen Bachelor of Commerce der Uni Vancouver hat und an einem neunwöchigen Seminar des NASA Research Park in Silicon Valley teilnahm, „das Träumer und inspirierte Problemlöser mit einzigartigen Fähigkeiten, Erfahrungen und Leidenschaften befähigen will, zur Entwicklung von ‚Moonshot‘-Innovationen für die großen Herausforderungen der Menschheit beizutragen“, hat es als Gründerin und CEO von Compound Foods in San Francisco erfasst: Wenn das Unesco-IHE Institute for Water Education angibt, dass für eine Tasse Kaffee, die wir trinken, rund 147 Liter Wasser verbraucht worden sind, dann kann doch Compound Foods gar nicht anders, als Kaffeeplantagen durch gezüchtete Mikroben aus Kaffeekirschen und Fermentationstechnologie zu ersetzen. Sie sammelte für ihren bohnenlosen Bohnenkaffee 5,3 Mio $ Startkapital ein, weil sie verheißt, ab 2022 mit 1/10 der Emissionen und des Wasserverbrauchs auszukommen und jeden gewünschten Geschmack und Koffeingehalt zu bieten. Ihre in Veggie-Medien mitgeteilte Motivation kann – bis auf die derzeit von Vielem gebeutelten Kaffeebauern – jeden Kaffeetrinker zu Tränen rühren: „Mich treibt meine tiefe Sorge als (gebürtige) Costa-Ricaner über die Zukunft des Kaffees. Ich liebe Kaffee, ich liebe seinen Geruch, seinen Geschmack und die Erinnerungen, die er wachruft. Und weil ich es liebe, mache ich mir Sorgen um seine Zukunft und seine Auswirkungen auf den Planeten.“ Welch Moonshot-Marketing…

Foto: Compound Foods

Michael Ellis, 62, von 2011 bis 2018 Chef des Michelin, dem es im Gegensatz zu seinem Vorgänger Jean-Luc Narret und seinem Nachfolger Gwendal Poullennec gelang, den Guide seriös wirken zu lassen, wurde letztes Wochenende von der Welt am Sonntag als „Gastronomie-Guru“ präsentiert – was der smarte Amerikaner aus Colorado und derzeitige Gastgewerbe-Berater nie und nimmer von sich sagen würde. Im Interview über „die Trends und das Restaurant der Zukunft“ beantwortete er zunächst eine Frage nach derzeit Begeisterndem: In Berlin war es im Mine „fantastisch. Italienische Küche, besser als in Italien! Spannend auch, was gerade im Plaza Athénée in Paris passiert: Dort wurde der langjährige Küchenchef Alain Ducasse durch Jean Imbert ersetzt, der als Revoluzzer gilt. Für mich symptomatisch: Fine Dinings wird zu Fun Dining.“ Wer diese Empfehlungen ernst nehmen will, sollte wissen, dass Ellis privat die klassische Seezunge Müllerin allen kunstvollen Seezungenröllchen voller Kirschblüten vorzieht und in der kulinarischen Szene nicht als der Informierteste gilt.

Seine Prognose bot nicht mehr Neues als CO₂-neutrale Teller, Insekten als Proteinbringer und einen Appell an Küchenchefs: „Vergesst den Guide Michelin.“ Damit meinte er: „Viele Köche betrachten sich als Künstler. Sie kochen das, was sie kochen wollen, aber das ist nicht zwangsläufig das, was ihre Gäste essen möchten. Es geht darum, die Balance zu finden zwischen kulinarischer Selbstverwirklichung und einem Angebot, das die Gäste verstehen.“ Dass sich Ellis so wenig Mühe mit den Antworten machte, lag vielleicht an der geringen Mühe, die sich die WamS mit ihm machte. So schrieb sie zu seinem Foto: Der „Restaurantexperte … arbeitet seit über 40 Jahren im internationalen Gastgewerbe“. Seit seinem 1982 erreichten Master of International Relations an der Johns Hopkins University in Washington beschäftigte er sich 28 Jahre lang im Spirituosenhandel, Kreuzfahrtgeschäft, Verpackungswesen und Sales & Marketing für Motorradreifen. Grundkenntnisse für den Michelin erwarb er während Studienpausen, als er in Paris eine verkürzte Kochausbildung machte und als Commis in einem Bistro arbeitete.

Ach ja, es gab auch Konkretes. Auf die Frage „Wie bewegt man Leute dazu, etwas zu bestellen, das sie noch nie gegessen haben?“ riet er: „Man muss die Leute in ihrer Komfortzone abholen. Essen neu interpretieren, das sie kennen und lieben. Ich denke spontan an ein dekonstruiertes Wiener Schnitzel: einen Teil panieren, den Rest au naturel servieren, mit einer raffinierten Sauce kombiniert.“

Foto: AHIC

MACRON GIBT DEN KÖCHEN ZUCKERL

Emmanuel Macron, 43, schmeichelte auf einer Gastronomiemesse in Lyon 200 Köchen, darunter Anne-Sophie Pic, Alain Ducasse, Marc Veyrat und Pierre Gagnaire: „Bewahren Sie Ihre Erfolge in der Kochkunst, die das Herzstück des Französischseins ist“. Er und seine Regierung tun auch etwas für die Branche. Zuerst erklärten sie 2021 zum „Jahr der Gastronomie“ (in dem zunächst mal Corona keine Köche krönte, aber strukturelle Aktivitäten im Parlament begannen), dann ernannte Macron seinen Élysée-Küchenchef Guillaume Gomez zum staatlichen Botschafter für französische Lebensart und Förderung der Kochkunst mit Sitz im Außenministerium (siehe Gomez-Personalie). Nun regte der Präsident ein Exzellenzzentrum für die französische Gastronomie an – nach dem Vorbild der Trainingszentren für die Fußball- und Rugbynationalmannschaften in der Nähe von Paris, wo sich die Equipen auf ihre Spiele und Turniere vorbereiten. Es soll in Lyon oder dessen Region entstehen, dem „Epizentrum dieser Exzellenz“. Und als staatlichen Beitrag zur Linderung von Personalproblemen in der französischen Gastronomie (die deutschen Zuständen gleichen) verkündete Macron, dass per Kreditkarte gegebene Trinkgelder steuerfrei werden.

PS: Die deutsche Gastronomie darf damit vorliebnehmen, dass Bundespräsident Steinmeier die Currywurst aus seiner Schloss-Bellevue-Küche „ausgezeichnet“ findet und Bundeskanzlerin Merkel der Kartoffelsuppe sehr gewogen ist – und muss auch auf nichts neidisch sein, was die beiden für andere Branchen tun.

Foto: @EmmanuelMacron

UNKOLLEGIALER KOLLEGE: BAU

Christian Bau, 50, Drei-Sterne-Koch, der sich gern als Stimme der deutschen Spitzenköche zu hören scheint und proklamierte, „für uns Spitzenköche gibt es einen Ehrenkodex. Kollegialität, Anstand und Respekt sind für uns untereinander fundamental“, kommentierte in seiner letzten Welt am Sonntag-Kolumne einen Kommentar von Jürgen Dollase. Der hatte in der Onlinezeitung Eat-Drink-Think geschrieben: „Die Ankündigung der Althoff-Hotelgruppe, die beiden Drei-Sterne-Restaurants ‚Vendôme‘ in Bensberg und ‚Überfahrt‘ am Tegernsee auf nur noch fünf Services pro Woche zurückzufahren, hat bei vielen Beobachtern ein ungutes Gefühl hinterlassen. Natürlich sind solche Maßnahmen verständlich. Sie haben etwas mit der aktuellen Post-Corona-Situation, meist mit Personalnot zu tun, aber auch damit, dass fünf Restaurantöffnungen perfekt zur 35-Stunden-Woche passen.“ Dazu äußerte sich nun ungefragt Bau, dessen Texte sich immer so lesen, als schreibe sie ein gewisser Dr. Christoph Wirtz: „Reduzierte Öffnungszeiten halte ich auch für heikel, denn ein Drei-Sterne-Restaurant, das nur noch drei Tage die Woche geöffnet hat wie derzeit das ‚Aqua‘ in Wolfsburg, muss sich die Frage nach seiner Kundenfreundlichkeit gefallen lassen.“ Darauf antwortete Aqua-Küchenchef Sven Elverfeld via Instagram: „Lieber Christian, es ist mir grundsätzlich ja scheiss egal was du schreibst, aber bitte urteile nicht über Dinge & Kolleglnnen, die du nicht 100% bewerten und auch gar nicht vergleichen kannst! Informiere dich zudem bevor du über Öffnungszeiten anderer urteilst. Wünsche dir alles Gute und kümmere dich um deine ‚anscheinend‘ großen Komplexe.“ 

Foto: Victor’s Fine Dining by Christian Bau

DIE WEINPÄPSTIN SEGNET SICH IN USA

Jancis Robinson, 71, die als einflussreichste Weinkritikerin der Welt gilt, verkaufte ihren seit 2000 erscheinenden und in 82 Ländern abonnierten Newsletter JancisRobinson.com an Recurrent Ventures in Miami, das 17 digitale Medienmarken betreibt (von Auto über Lifestyle und Militärtechnik bis Populärwissenschaft). Sie schreibt, nachdem sie 1971 ihren Master in Mathematik und Philosophie an der Uni Oxford sowie danach Marketing für ein Touristikunternehmen gemacht hat, seit 1975 über Wein, schaffte 1984 die Prüfung für den Master of Wine (MW), den prestigeträchtigsten Titel in der Weinbranche, ist Herausgeberin von The Oxford Companion to Wine und verfasst (mit Hugh Johnson) The World Atlas of Wine (ca. 5 Mio Auflage). Im Robinson-Team arbeiten 15 Autoren, von denen 6 MW sind, in vier Kontinenten und eine MW-Aspirantin aus Schanghai für die Übersetzung der chinesischen Ausgabe; sie wollen alle ebenso weitermachen wie Chefredakteurin Robinson. Die Verkäuferin will ihr journalistisches Lebenswerk und dessen Wachstum sichern, der Käufer globale Aufmerksamkeit erlangen und Kalifornien fördern.

Foto: @JancisRobinson




ERÖFFNUNGS-PR PER PRESSESCHELTE

Guillaume Sanchez, 30, gelernter Pâtissier (Dalloyau, Ladurée, Fauchon) und Patron plus Küchenchef des Pariser Restaurants NE/SO, machte sich schon mit 24 Jahren selbstständig und seither sehr PR-bewusst bekannt: Er beeindruckte im TV-Wettbewerb Top Chef durch Aussehen und Selbstbewusstsein, erschien im Herrenmagazin GQ als „Koch des Jahres“, Dressman für Dior Homme und Zitatelieferant („Heute gehen wir nicht mehr in Restaurants, sondern zu einem Koch; wir leben in einer Gesellschaft mittelmäßiger Menschen, die ohne Talent erfolgreich sind; ich halte mich nicht für ein Genie, eher für ein Arschloch“), erkochte einen Michelin-Stern und den Discovery-Status in der 50best-Liste fürs „bahnbrechende Menü rund um die Prozesse der Fermentation und Kaltextraktion“. Nun ließ er sich zur Wiedereröffnung seines ein Jahr lang wegen Corona geschlossenen Lokals etwas einfallen und postete diese Pressebeschimpfung:
„Hier und da sehe ich, wie sich die ‚Presse‘ das Maul darüber zerreißt, wer es verdient hat, an einem Restaurantherd zu sein und wer nicht, wer in der Lage ist, Emotionen in ihre ach so großen Münder zu füllen, die mit kostenlosen Wochenendveröffentlichungen erwidert werden, ich sehe, wie sie Pressemitteilungen über Restaurants schreiben, die sie danach selbst besuchen, wenn sie nicht ständig für dieselbe PR-Agentur schreiben… Ich sehe, wie sie während eines Menüs für einem Artikel aufs c tippen und Brot bestellen, damit sie ihr Handy daran anlehnen können, um ein Match während des Essens zu verfolgen. Ich sehe, wie sie sich an schlechten Sendungen beteiligen und in einer MP darum bitten, den Beitrag, den sie über unsere Arbeit verfasst haben, erneut zu veröffentlichen (weil sie weitere Follower brauchen), ich sehe, wie sie vom Tisch aufstehen, ohne nach der Rechnung zu fragen, ich sehe, wie sie sich gegen Menschen aussprechen, die ihr Leben lang hinter dem Herd schuften, aus Leidenschaft und aus Angst vor einer schlechten Bewertung. Ich sehe sie über die Entscheidungen schreiben, die ein Unternehmer in der Krise zu treffen hat, und sich hinter ihrem neuen Humanismus verstecken. Wann haben wir beschlossen, für diese Leute zu kochen? Ich werde nicht mehr in der Presse kämpfen, um unsere Botschaften zu verbreiten, wenn sie Fragen haben, werden die Antworten auf dem Teller liegen. Sie haben es schon zu lange nicht mehr geschafft, mich zu interessieren, und ich glaube auch nicht, dass sie nötig sind. Meine Mannschaft und ich eröffnen das Restaurant am 6. September wieder… wir tun es für uns, für die Produzenten, mit denen wir zusammenarbeiten, und für unsere Gäste, die die Küche erleben möchten. Und für niemanden sonst.“
Das Internet-Echo auf dieses „Randalieren“ (TéléStar) reichte von „Es ist ein Vergnügen, Sie zu lesen“ über „Ducasse, Bocuse, Blanc oder Troisgros hätten sich nie über diese Art von Kritikern beschwert, die es bereits in der Vergangenheit gab“ bis zu „Wenn Sie mit dieser ‚Presse‘ den Wiedereröffnungstermin bekanntgeben, kann die ja nicht so schlimm sein“.

Foto: NE/SO, Paris



US-IMPFGEGNER MOBBEN RESTAURANTS

Tracy Chang, 34, Inhaberin und Küchenchefin des Pagu im Boston-Vorort Cambridge, zählt zu jenen Gastronomen, die von Gegnern der Corona-Impfungen verunglimpft werden, weil sie – wie z.B. in New York, San Francisco, New Orleans ab 20. August amtlich verordnet – drinnen nur Geimpfte bedienen wollen. Die Schimpfkanonaden in Mails und Posts, auf Instagram-Konten und in Telefonanrufen reichten von Kommunist bis Nazi, von bissigen Kommentaren bis zu Todesdrohungen; das Bestehen auf Impfnachweisen wurde mit sozialer Ausgrenzung und Rassendiskriminierung verglichen. Auf Portalen wie Yelp und Tripadvisor bekamen die Restaurants üble Verrisse und kommentarlose Tiefstwertungen. Yelp löschte Tausende solcher Bewertungen von Leuten, die nichts Sachliches über die Küchenleistung mitteilten, sondern sich nur über die Impfpolitik ärgerten. Gastronomen, die sich direkt oder über ihre Organisationen austauschten, konnten gleichlautende Texte feststellen – deren Absender nie im Lokal waren.

Chang, die einen Bachelor of Science in Finance hat, Pâtisserie am Pariser Institut Le Cordon Bleu lernte und zwei Jahre bei Drei-Sterne-Koch Martin Berasategui arbeitete: „Trotz aller Drohungen und Belästigungen, die ich als Frau und Asiatin fürchte: Wir können es uns nicht leisten, unsere 46 Mitarbeiter und deren Familien durch Ungeimpfte zu gefährden, aber wir können es uns glücklicherweise leisten, die Impfgegner unter unseren Gästen zu verlieren.“

Ganz andere Verluste drohen in Texas, dessen republikanischer Gouverneur und Senat trotz aller überdurchschnittlicher Delta-Probleme jede Pflicht zu Corona-Sicherheitsmaßnahmen in ihrem Bundesstaat verboten haben. Nachdem die Lokale Lauderette und Fresa’s in Austin ankündigten, Impfnachweise und Masken von drinnen essenden Gästen zu verlangen, um u.a. die überforderten Krankenhäuser der Stadt nicht weiter zu belasten, avisierte die staatliche Texas Alcoholic Beverage Commission (TABC) den Entzug der Alkohollizenz. Als die Gastronomen und die Presse das als Drohung verstanden, verlautbarte TABC: „Wir drohen nicht, sondern klären auf und informieren.“ Beide Lokale verzichten auf den Impfnachweis, andere schließen zum Schutz ihrer Mitarbeiter den Innenbereich.

Foto: @GoPAGU

BRANDVORSORGE: NAPA-WINZER DUNN

Randy Dunn, 75, Kultwinzer des Napa Valley, führt die Gruppe der Weingüter an, die aus Angst vor neuen Waldbränden und den beschränkten Mitteln der bei den Bränden im September 2020 völlig überforderten staatlichen Cal Fire-Wehr, private Vorsorge treiben. Er sucht für Dunn Vineyards ein drittes Feuerlöschfahrzeug (sein erstes ist von 1946) und installierte 9500-Liter-Tanks mit Pumpsystemen. Winzervereinigungen beantragten, bislang vergeblich, beim Landkreis, den Vertrag mit Cal Fire aufzulösen und eine eigene Feuerwehr zu etablieren. Abgelehnt wurde auch der Plan des Privatpiloten Dunn, dass die Winzer während der Gefahrenzeit 120 Tage lang zwei Fire Boss-Flugzeuge zur Brandbekämpfung aus der Luft vor Ort stationieren (Kosten: 1,5 Mio $). Begründung der Bezirksverwaltung: Hubschrauber seien aufgrund der Topografie geeigneter. Daraufhin erbot sich Michael Rogerson, Chef der Rogerson Aircraft Corporation, der im Napa Valley ein Landhaus hat, zwei Black Hawk-Helikopter aus dem Flugpark seiner Company, die den Cal Fire-Hubschraubern „sehr ähnlich“ sind, auf seine Kosten (von 2 Mio $) bereitzustellen und aufzurüsten. Der Landkreis zögert, das Angebot anzunehmen – auch aus ethischen Gründen, da sich Landkreise ohne solch wohlhabende Gönner benachteiligt fühlen könnten. Keine Probleme machte es, dass die Winzer in Eigeninitiative mit ihren Bulldozzern bis zu 8 km lange Feuerschneisen freiräumten, dass Weingutsmitarbeiter an 40-stündigen Grundkursen zur Brandbekämpfung teilnehmen und in der Silver Oak Winery auch lernen, das neugekaufte 7600 Liter fassende Löschfahrzeug zu bedienen, und dass die private Napa Firewise Foundation vom Landkreis 6 Mio $ für konventionelle Vorsorge wie Notfallwarnsysteme bekam.

Foto: Dunn Vineyards


„ÜBERDIMENSIONIERTES EGO DER KÖCHE“

Yves Camdeborde, 56, inspirierte 1992 nach seinen Angestelltenjahren in der Pariser Küchenklassik von Ritz, Tour d’Argent und Crillon durch das zeitgeistige Angebot in seinem neueröffneten Pariser La Régalade den Gastrokritiker Sébastien Demorand zu dem Begriff „Bistronomie“ und fast eine Generation junger Köche zu diesem Mix aus ambitionierter Kulinarik und legerem Rahmen. Mittlerweile Patron eines Hotels und von fünf Lokalen sieht er sich heute wie ein „letzter Mohikaner jener Köchegeneration, die noch wahre Restaurantkritik kannte“ und sich mit Leuten wie Henri Gault, Christian Millau, Jean Didier oder François Simon gewinnbringend fetzte, weil die „kenntnisreich kritisierten und konstruktiv argumentierten“. Nun sei er auf „Sinnsuche in einer Ära der Starifizierung von Köchen, deren Ego durch das Wirken von Agenturen, Pressebüros und Influencern überdimensioniert sei“. Als Helfer durch diese Moderne habe er sich von einer Beratungsfirma einen jungen Mann von 30 Jahren attachieren lassen, der ihm u.a. riet, zur Gewinnung einer jüngeren Klientel auf der Speisekarte die „Spaghetti-Bolognese“ durch „Spaghetti mit Fleischbällchen und Tomatensauce“ und die „Avocado-Garnelen“ durch „Guacamole, Shrimps und Fladenbrot“ zu ersetzen. Statt solchem Rat zu folgen, will Camdeborde nach den Olympischen Spielen 2024 in Paris, die er als Sportenthusiast miterleben möchte, die Stadt verlassen und (wie er im Journal du Dimanche ankündigte) im Vaucluse ein Lokal mit heimischen Gerichten eröffnen, die sicher „nicht instagrammable sind, aber bestimmt schmecken“ – eine Art Dorf-Drugstore, nur mittags geöffnet, mit Buchladen-Ecke und Vinylschallplatten“.

Foto: © hotelrelaissaintgermain



SYLT: FISCH BOOMT, VEGGIE SINKT

Herbert Seckler, 69, gelernter Koch und trendsetzender Schöpfer einer Sylter Goldgrube namens Sansibar, in einem FAS-Interview zum gesundheitsbewussteren Gästeverhalten nach Ende des Lockdowns: „Fisch läuft deutlich besser seit Corona, das ist mittlerweile das beliebteste Gericht. Früher wurde eine Currywurst nach der anderen bestellt, heute rufen alle nach Fisch.“ Und wie steht es um den Trend zu vegetarisch und vegan? Seckler: „Ohne Veggie geht’s nicht mehr, klar. Aber der Trend flacht schon wieder ab. Das wird sich nicht durchsetzen, da bin ich überzeugt.“

PS: Seckler, der vor der Corona-Zeit für seine bis zu 5000 Gäste pro Hochsaisontag eine Tonne Fisch fürs Mittags- oder Abendmahl brauchte, hat auch etwas Bedenkenswertes für jene Sylter, die maulen, dass sie sich die Insel nicht mehr leisten könnten, weil die Fremden beispielsweise die Immobilienpreise verdorben hätten: „Wer hat denn die Häuser und die Grundstücke verkauft? Doch wohl die Sylter. Für viel Geld wohlgemerkt. Niemand wurde gezwungen zu verkaufen.“

Foto: © Sansibar



„ICH HABE ZU GROSSE TRÄUME“

Jean Imbert, 39, Patron des großmütterliche Bistroküche bietenden Mamie in Paris und Küchenchef in den beiden Lokalen des US-Rappers und persönlichen Freundes Pharrell Williams in Miami und St-Tropez sowie im Cheval-Blanc-Hotel auf der Karibikinsel St-Barth, beerbt zum 1. Juli Alain Ducasse, 64, im Pariser Hotelpalast Plaza-Athénée, wo er dann das bisherige Drei-Sterne-Restaurant, fünf weitere Outlets sowie Frühstück und Roomservice betreut. Dass ausgerechnet Imbert, der keinen Stern, aber Gäste wie Beyoncé, Kylian Mbappé, Johnny Hallyday und Robert de Niro hat, dem meistbesternten Koch der Welt nachfolgt, wird in der Grande Nation als „Erdbeben in der Gastronomie“ (Le Parisien) und „Palastrevolution“ (Le Point) empfunden. Imbert, der 2012 im TV den Kochwettbewerb „Top Chef France“ gewann, sieht’s auch nicht gelassen: „Natürlich werden viele an meinen Fähigkeiten für diese Position zweifeln… Ich war 18, als Alain Ducasse im Plaza-Athénée ankam, und ich weiß wohl, dass ich zu große Träume habe, aber die Chance, sie verwirklichen zu können, lässt mich wie ein Kind staunen.“ Erwachsene staunen, dass Imbert künftig auch 5 Hausnummern weiter Küchenchef ist (in der Avenue Montaigne 30): Denn das Modehaus Dior verkündete in der Vorwoche die baldige Eröffnung eines Restaurants in seiner restaurierten Konzernzentrale, für das „Jean Imbert außergewöhnliche Gerichte“ kreiert, „die die Geschichte und die Werte von Dior widerspiegeln… Gastronomie an der Schnittstelle von Erbe und Zukunft“.

Als Imbert Anfang Mai erstmals als möglicher Nachfolger von Ducasse genannt wurde, glaubte das kulinarische Paris, dass die unbedarfte Plaza-Obrigkeit den Vorschlag eines Scherzbolds ernstgenommen hätte. Seit der Ernennung am Dienstag wird über eine „neue Moderne“ in den Küchen eines Luxushotels sinniert, dessen „reiche internationale Kundschaft ausbleibt“. Gourmets sind um Geduld gebeten: bis zu den ersten Imbert-Gerichten bei Wiedereröffnung des Restaurants im September, die im Loup de mer in Salzkruste gipfeln dürften. Ducasse bleibt busy: Er bekocht das Restaurant in der am 1. Juni eröffneten Hotelpracht Le Grand Contrôle am Schloss Versailles und eröffnet Anfang September seine Street food-Interpretation im Sapid an der rue de Paradis in Paris.

Foto: @Plaza_Athenee



KÖRNER-KUNST IM PARISER MUSEUM

Vater Michel Bras, 74, und Sohn Sébastien Bras, 49, die zu den gehyptesten und medienscheuesten Köchen Frankreichs zählen und ihr Restaurant in Laguiole nie filialisieren wollten, sind nun doch in Paris und kochen am Hofe des drittreichsten Franzosen: in dessen monumentalem Kunstmuseum Bourse de Commerce – Pinault collection. In dem total restaurierten Rundbau von 1763 kann man seit Pfingstsamstag in der Eröffnungsausstellung u.a. Objekte aus Vinylplatten und Flaschenkapseln von David Hammons, Porträtgemälde von Rudolf Stingel und das fotografische „Portfolio of Models“ von Martha Wilson anstaunen. Pinault (Vermögen laut Forbes ca. 56 Mrd. $) hat nun dank Gucci, Yves Saint Laurent und Bottega Veneta auch, was der reichste Franzose, Bernard Arnault (Vermögen laut Forbes ca. 186 Mrd. $), dank Hermès, Louis Vuiton und Moët & Chandon schon länger hat: ein Museum für seine Kunst in Paris und einen Hofkoch, das Glasschiff und Yannick Alléno. (Öffentlich nicht zur Schau gestellt wird das zweitgrößte Vermögen: die laut Forbes 89 Mrd. $ der L‘ Oréal-Erbin Françoise Bettencourt Meyers.) Im öffentlich zugänglichen Museumsrestaurant im dritten Stock bietet die Bras-Küche in ihrem weltläufigem Brasserieprogramm als einziges Laguiole-Highlight eine Interpretation des legendären Coulant au chocolat von 1981 und als Hommage ans neue Haus, das mal Getreidebörse war, das Gegenteil einer musealen Körner-Kunst: kreative Zubereitungen aus Getreide und Samen aller Welt und Sorten. Sohn Bras: „Wir haben mehr als fünfzig Elemente in unser neues kulinarisches Alphabet aufgenommen: Amarant, Azukibohne, Erbsen und Linsen ungewöhnlichster Art, Flachs, Foniohirse, Gerste, Kamut, Lupine, Luzerne…“ Vater Bras: „Wir haben gekeimt, gegrillt, aufgeblasen, aufgegossen, fermentiert und auf tausend Arten gekocht, um dieses neue Drehbuch für unsere Karte zu schreiben.“ Wer im Halle aux grains vorm Körnerpicken Angst haben sollte, wird sich z.B. über Miso von Linsen zu Aubrac-Filet oder Kohlroulade de luxe unter Kreuzkümmelkruste freuen.

Foto: © Laurent Dupont, Bras /Halle aux grains



DANIEL HUMM: KÜNFTIG ALLES VEGAN

Daniel Humm, 44, Küchenchef und Mitinhaber des gehypten New Yorker Restaurants „Eleven Madison Park“ (3 Sterne) sowie seit 2019 Lebensgefährte der veganen Milliardärin Laurene Powell Jobs, 57 und Witwe von Apple-Gründer Steve Jobs, verkündete zur Wiedereröffnung im Juni ein neues Konzept: „Jedes Gericht wird aus Pflanzen zubereitet – sowohl aus der Erde wie auch aus dem Meer –, aus Früchten, Gemüse, Pilzen, Getreide etc.“ Viel fürs Menü soll von der eigenen Farm in Upstate New York kommen. Besonders die deutschsprachigen Medien – voran der Spiegel – überschlugen sich: „In Sachen vegetarische Ernährung könnte Humm nun zum Vorreiter eines auch in Deutschland verstärkt spürbaren Trends werden“; „damit kündigt der Schweizer eine kulinarische Revolution an, welche die Kraft hat, die Welt zu verändern… Daniel Humm könnte, nach Ferran Adria und René Redzepi, einer der zeitgenössischen Küchenchefs werden, die das Kochen entscheidend verändern.“

Im allgemeinen Pressejubel stört nur Jay Rayner vom Londoner Observer: „Es gibt Grenzen für das, was man mit einem ausgezeichneten Restaurant machen kann. Köche sollten zwar ihre Produkte angesichts der Klimakrise verantwortungsbewusst wählen, aber am Ende des Tages kochen sie immer noch für eine Klientel, die solch ein Engagement in Frage stellen könnte.“ Deswegen wirbt Humm vorsorglich: „Eleven Madison Park will die Gäste überraschen, nicht belehren.“

Humms revolutionäres Konzept verwirklicht schon seit 20 Jahren der Pariser 3-Sterne-Koch Alain Passard, ohne in Deutschland als Vorreiter und Weltverbesserer aufgefallen zu sein. In jenem 2001 wurde der gebürtige Aargauer Daniel Humm im „Wirtshuus zur Chrone“ in Mesikon „Entdeckung des Jahres“ im Schweizer Gault MIllau. 2002 erkochte er im „Gasthaus zum Gupf“ in Rehetobel seinen ersten Stern und entschwand nach San Francisco, von wo ihn Danny Meyer (siehe sechstnächsten Beitrag) 2006 ins „Eleven Madison Park“ holte.

Eine Ausnahme macht der Neo-Veganer Humm, der weiterhin 335 $ (inkl. Tip) fürs Menü nimmt: bei der Milch zum Restaurantkaffee und dem Honig zum Tee.

Foto: @DanielHumm



PHÄNOMENAL VEGAN IM KÄSE-BUSINESS

Miyoko Schinner, 63, Pionierin des veganen Käses in den USA, wird dort für dieses Engagement von Feministinnen als eine der Frauen gefeiert, die die Zukunft prägen. Die gebürtige Japanerin ist seit ihrer Kindheit Vegetarierin und kam nach ihrem College-Abschluss in dem Eifer, den Amerikanern statt deren einfältiger Kuchenbackerei die Schönheit der französischen Konditorei nahezubringen, zum Kochen und eröffnete 1994 das vegane Restaurant „Now and Zen“ in San Francisco. Danach prägte sie die vegane Käsegewinnung aus gekeimten, fermentierten Körnern, gefüllt mit Probiotika und Milchsäure, und wurde eine führende Verfechterin des juristischen Kampfs der veganen Lebensmittelproduzenten, traditionelle Fleisch- und Milchbegriffe auf ihren Etiketten zu verwenden. Mittlerweile empfindet sie ihre Miyoko’s Creamery im nordkalifornischen Petaluma als „Molkerei von Morgen“ und macht dort aus Bio-Cashew-Milch mehrerlei Butter und zwei Dutzend Käse, die USA-weit in 1000 Läden zu haben sind und demnächst global vertrieben werden sollen. Ihren „Fresh French Style Winter Truffle Cashew Milk Cheese” (184g für 11.99 $) fertigt sie aus Bio-Cashewnüssen und gefiltertem Wasser (für die vegane Milch), Bio-Kokosöl, Bio-Trockenpilzen, Bio-Olivenöl mit Trüffelgeschmack, Agar (Geliermittel), Meersalz, Bio-Tapiokastärke, Ernährungshefe und biotechnologisch mit Hilfe von Schimmelpilzen erzeugten Kulturen als Ersatz für das tierische Lab. Ihr Mozzarella enthält (neben der Milch und den Kulturen) Bio-Kokosöl, Bio-Tapiokastärke, Meersalz, Agar, Pilzextrakt und Bio-Teufelszunge (für Gel-Textur). Zu den größten Förderern veganen Käses gehört in den USA wie in Deutschland die Tierrechtsorganisation Peta. Für deren Geschmack überzeugen hierzulande sogar die auf Süßlupine-, Soja- oder Vollkornreisbasis produzierten Käsealternativen bei Aldi, Edeka oder Rewe „auch Feinschmecker“, weil sie „dem Original in nichts nachstehen“. Peta krönte Aldi zum „veganfreundlichsten Supermarkt“ und behauptet, dass veganer Käse in Deutschland „in aller Munde“ ist – bei einem Marktanteil von etwa 0,9 %. Vielleicht steigt der nach der taz-Schlagzeile „Auch veganer Käse macht süchtig“; unter ihr steht: „Milchprodukte enthalten opiatartige Substanzen. Um genauer zu sein, Casomorphine, die … eine Ausschüttung von Morphinen bewirken.“

Foto: @MiyokosCreamery


Franz Kotteder, 57, Journalist der Süddeutschen Zeitung und Buchautor (Die Billig-Lüge, Der große Ausverkauf), der aus seinem Job des Lokalredakteurs offenbar auch Kompetenz für Restaurants und Kulinarisches herleitete, veröffentlichte am 30. März in seiner Zeitung einen Artikel über das neue Gault & Millau-Magazin von Burda. Das Zustandekommen und den Sinngehalt dieser Lobhudelei kann man sich auch nach mehrmaligem Lesen nur so erklären: Nach dem am 26. März erschienenen sachlich und fachlich fundierten Verriss des Magazins durch FAZ-Kritiker Jürgen Dollase könnte der auch bei Burda tätige Gastro-Geschaftlhuber und Wein-Sachverständige Otto Geisel den ihm wohlbekannten Kotteder angerufen und zu dem Artikel inspiriert haben, damit Dollases Urteil nicht die einzige bemerkenswerte Reaktion auf die Neuerscheinung bliebe. Dollases Überschrift: „Ogottogott! Anmerkungen zum neuen Gault&Millau-Magazin“, kontert Kotteder mit der Titelzeile: „188 Seiten guter Geschmack.“ Dollases Fazit: „Man wird nicht umhinkönnen, das neue Magazin weitgehend konzeptlos, überflüssig und im Detail auch noch ärgerlich zu finden. Man findet nichts, das es nicht seit vielen Jahren auch in anderen Magazinen gibt“, kontert Kotteder: „Die erste Ausgabe ist vielversprechend, die Mischung gelungen. Man will sich erkennbar abheben von der Konkurrenz.“ Mehr Lob tischte Kotteder, der gern Presse- und PR-Mitteilungen ohne Quellenangabe zu zitieren scheint, zu seiner Inhaltsangabe nicht auf, da Burda nichts Verwertbares vorformulierte. Immerhin bemühte er sich, den Magazinmachern den Gefallen zu tun, Dollase wenigstens indirekt zu diskreditieren – sofern die SZ-Leser diesen Satz zu deuten wissen: „Das Magazin begeht nicht den Fehler, den Besserwisser oder gar den Bestwisser rauszukehren.“ Das Schlimme an dieser ganzen Vermutung über den Kotteder-Artikel ist, dass ihn die SZ auf ihrer Medienseite druckt. Doch das verwundert niemanden, der wie SZ-Betriebsrat Kotteder die aktuelle Gefahr wittert, dass die Zeitung durch ihre Personalpolitik vom „Edelstein“ zum „Isarkiesel“ verkommen könnte.

Foto: @kottederfranz



500 € EINTRITT: EDELSTER KELLER DER WELT

Michel-Jack Chasseuil, 79, bittet ab Sommer in den „Louvre des Weins“ und verlangt für den Anblick seiner museal großen Flaschen, die als prestigereichste Sammlung der Weinwelt gelten, 500 € – ohne Verkostung. Die ließ er sich zuletzt mit 10.500 € vergüten. Chasseuil, der 1960 als Kesselbauer im Luftfahrtkonzern Dassault begann, sich dort zum Industriedesigner fortbildete und als Exportchef endete, kaufte vor 50 Jahren seine ersten Grands Crus und kommt mittlerweile auf 40.000 Bouteilles – darunter 45er Romanée-Conti, 80 Jahrgänge Pétrus, d‘ Yquem von 1811, 1821 und 1847 sowie Cognac von 1789 (Vendages de la Révolution). Ein Chinese bot vor Jahren 50 Mio € für die Sammlung. Doch der Franzose erhoffte sich vom Staat ein würdiges Museum in Paris oder Bordeaux. Als der abwinkte, baute es Chasseuil nun für 300.000 € selbst: 3 m unter seinem Heimatort La Chapelle-Bâton (nordöstlich von Cognac), 50 m lang und 8 m breit, modernste Sicherheitstechnik. Was der Weinkeller, bei dessen Betreten die automatische Illumination und Musik beeindrucken sollen, aus seinem 400-Einwohner-Dorf machen wird, sieht er so: „Vor 65 Jahren gab es in Saint-Tropez drei Boote, dann kam Brigitte Bardot an.“ Bislang landen ab und an Helikopter mit wohlhabenden Weinkennern ohne Aufhebens.

Foto: @MichelJackChasseuil



PRÄSIDENTEN-KOCH WIRD BOTSCHAFTER

Guillaume Gomez, 42, der seit 1998 die französischen Präsidenten bekocht, hat ab März einen neuen Job: staatlicher Botschafter für französische Lebensart. Mit Sitz im Außenministerium vertritt er Staatschef Macron im In- und Ausland „bei den Repräsentanten und Institutionen der Gastronomie und der Nahrungsmittelbranche, um die Kochkunst Frankreichs zu fördern“. Erste Aufgabe: 2021 zum „Jahr der französischen Gastronomie“ zu machen. Danach soll Gomez, der als 20-jähriger auf Empfehlung seines Arbeitgebers Jacques Le Divellec (Stammgast: der damalige Präsident Mitterrand) in die 500-m²-Küche im Souterrain des Élysée-Palastes kam und dort seit 2013 Chef der 25-Mann-Brigade ist, die von Sandwichs für die 800 Präsidenten-Mitarbeiter bis zu Galadîners für Staatsgäste beschäftigt ist, Frankreichs kulinarische Grandeur bei den unterschiedlichsten Anlässen glänzen lassen: dem alljährlichen Paris Food Forum, der Rugby-WM 2023 in 9 französischen Städten, den Olympischen Spielen 2024 in Paris… Bei den Lieblingsgerichten seiner Dienstherren hatte Gomez nie Probleme: Chirac (Kalbskopf, Masthuhn), Sarkozy (Lotte, Masthuhn, Seezunge), Hollande (Masthuhn, Rind, Austern), Macron (Cordon bleu, Kalbsragout mit 5 Gemüse) verliehen ihm Orden und Auszeichnungen. Nur einmal erregte er Missfallen: 2014 fand die Außenhandelsministerin Nicole Bricq das Menü mit französischen Klassikern zu Ehren des chinesischen Staatschefs Xi Jinping „dégueulasse (widerlich)“ – was sie Ministerpräsident Ayrault und dessen Frau sagte, ohne die weitreichenden TV-Mikrofone zu bemerken. Als die Ministerien kurz darauf einer Kabinettsumbildung zum Opfer fiel, bekundete Gomez seine Zustimmung per Tweet mit einem Daumen-hoch-Emoji und drei klatschenden Händen.

Foto: @ggomez_chef

BLACK & BIG POWER: JAY-Z & LVMH

Jay-Z, 51, US-Rapper („I‘m not a businessman, I‘m a business, man”), erster Milliardär seines Musik-Genres laut Forbes und umtriebiger Geschäftsmann (Uber, Roc Nation, Tidal, 40/40-Clubs, Bitcoin-Fond, Cannabisfirmen, Cognac D’Ussé), verkaufte dem weltgrößten Luxuskonzern LVMH 50 % seiner Bling-Bling Champagnermarke Armand de Brignac für geschätzte 250 Mio $. Interessenlage der neuen Geschäftsfreunde: Für den Konzern repräsentiert der Künstler als „Schrittmacher der schwarzen Kultur“ den Markt von Morgen, für den Künstler eröffnet sich der Zugang zu einer alten europäischen Elitebranche und zur Vertriebspower einer globalen Getränkemaschine. LVHM besitzt bereits die Champagnerhäuser Moët-Chandon, Dom Pérignon, Krug, Ruinart, Veuve Clicquot und Mercier. Was Jay-Z dem Konzern bringt, drückt Milliardärs-Kollege Bono so aus: „Er stellt eine neue Art des Künstlers im 21. Jahrhundert dar, er drückt sich nicht mehr nur in Musik aus, in Beats und Reimen. Bei ihm geht es um Kommerz, um Politik, um den Stoff, aus dem das echte wie das erdachte Leben ist.“ Den Deal fädelte der Sohn des LVHM-Besitzers Bernard Arnaud ein: Alexandre, 28, Fan und Freund des Hip-Hop-Superstars. Jay-Z machte schon mal Champagner-Schlagzeilen: Er war bis 2006 werbewirksamer Roederer-Crystal-Trinker und rief zu dessen Boykott auf, als sich der Roederer-Chef despektierlich über seine Rapper-Kundschaft äußerte.

Foto: Moët Hennessy

„NACH FRUSTATION KOMMT EUPHORIE”

Jérôme Bocuse, 51, Sohn von Monsieur Paul und Chef der Groupe Bocuse mit 8 Restaurants und Brasserien, dem Pavillon Français (Jahresumsatz: 38 Mio $) in der Disney World und allerlei Aktivitäten vom Bocuse Original Comptoir bis zum Bocuse d’or, nimmt den derzeitigen Lockdown mit dem Optimismus seines Vaters: „Im ewigen Kreislauf der Natur kommt immer nach Zeiten großer Frustration eine entsprechende Euphorie.“ Ansonsten rät er: „Die wichtigste Lektion, die wir heute lernen müssen, ist Vorsicht … Auch unsere Generation ist nicht immun gegen Konflikte, Wirtschafts- und Gesundheitskrisen. Mein Vater mahnte uns oft: ‚Wenn du denkst, dass du es geschafft hast, fängst du an zu scheitern‘.“ Eine kulinarische Kursänderung im Hause Bocuse ist nicht zu erwarten. Der Erbe schwärmt vom „Frankreich des guten Geflügels aus der Bresse, der Blutwurst und des Käses von lokalen Produzenten“ und einer „einfachen, genussvollen und identifizierbaren Küche mit frischen Qualitätsprodukten, unter Berücksichtigung der Jahreszeiten und der Region“. Auf die Frage, was er nach dem Lockdown forcieren werde, antwortete der Absolvent des Culinary Institute of America und des Hotellerie-MBA der Florida International University, der zu Vaters Lebzeiten in Orlando wohnte: „digitales Marketing und Omnichannel-Strategien“.

Foto: Groupe Bocuse

MENU SURPRISE: CHINESISCHER HUMOR

Feigang Fei, 42, Inhaber des Restaurants „Cuisine Aunt Dai“ in Montreal, das der kanadische TV-Sender CTV als besten Chinesen der Stadt abschmeckte, suchte sich einen unorthodoxen Weg aus der Corona-Krise: Er schreibt zu den Gerichten des derzeitigen Bestellservice selbstironische bis sarkastische Anmerkungen auf die online-Karte. Zum Beispiel zu Sweet and spicy pork strips (Yú Xiāng Ròu Sī) für 12,99 $: „Laut einer Internetumfrage das meistbestellte Gericht in ganz China. Dort in vielen Versionen zu haben. Ich bin ehrlich gesagt kein großer Fan unserer Version.“ Unter Poached fish slices in chili oil (Shuǐ Zhǔ Yú Piàn) für 14.99 $ steht: „Sehr beliebt bei den hiesigen Chinesen. In China würden wir frischen Fisch verwenden, aber aufgrund des extrem hohen Preises hier können wir nur tiefgefrorene Filets nehmen.“ Braised pork belly with sweet potato noodles (Hóng Shāo Ròu Dùn Fěn Tiáo) entlockt ihm ein „sehr beliebtes Gericht bei Gästen, denen dessen Fettigkeit egal ist. Der Geschmack ist sehr komplex und perfekt balanciert. Sie können eine Menge Schüsseln Reis dazu essen (1,49 pro Person, kostenlose Nachfüllung)“. Der Hauptgrund für die Beliebtheit der Salt and pepper shrimps (Jiāo Yán Xiā), „insbesondere bei Gästen, die nicht viel authentisch Chinesisches kennen, ist wohl, dass es nicht scharf ist. Das Trinken verteuert also die großen Shrimps nur unwesentlich“. Die Muße für sein Fabulieren findet der vor 14 Jahren aus China eingewanderte IT-Ingenieur, seit er zu Beginn der Pandemie in Kanada seinen Job verlor. Zeit hat er auch zum Gemüseschnippeln, aber bislang nicht fürs Satay sauce beef (shā chá niú ròu): „Ist neu auf unserer Karte, ich hatte noch keine Gelegenheit, es zu probieren. Bei Gästen ist es schon sehr beliebt. Ich sollte wohl mehr in meinem eigenen Restaurant essen.“ Nachdem die Montrealer Videospielautorin Kim Belair die Karte via Twitter verbreitet hatte, bekam Fei außer unerwartetem Umsatz und u.a. Artikel in der New York Times, im Londoner Guardian, in der Times of India und in der Süddeutschen Zeitung.

Foto: Cuisine AuntDai, Montreal

KULINARISCH EIN MANN DES VOLKES

JOE BIDEN, 78, kommt in seiner Genussfreude nicht über ein 1917 amtlich deklariertes Grundnahrungsmittel der Amerikaner hinaus: „Ich trinke nicht, ich rauche nicht, aber ich esse viel Eiscreme.“ Am liebsten Vanille mit Schokoladensplittern von Jeni’s Splendid Ice Cream in Columbus (Bundesstaat Ohio), deren Becher landesweit verkauft werden. Gründerin Jeni Britton Bauer kam während ihres Kunstgeschichtsstudiums durch wohlriechende Chemikalien, die ihr eine befreundete Chemiestudentin mitbrachte, auf die Idee, Parfums zu mixen und fand dabei heraus, dass Eiscreme der „perfekte Duftträger“ für ätherische Öle sei. Als erstes aromatisierte sie Schokoladeneis mit geruchlosem Öl von Cayennepfeffer. Auch Bidens sonstige Essvorlieben deuten nicht auf einen Gourmet: Laut Barack Obama hat er gern Pasta mit roter Sauce, Ehefrau Dr. Jill Biden spezifiziert: sehr dünne Spaghetti mit klassischer Tomatensauce. Noch volksnäher und jugendbetonter ist sein bevorzugtes Frühstücksbrot, das besonders bei Kindern beliebte PB&J – für ihn am liebsten mit Erdnussbutter und Traubengelee.

Foto: Xyytechnology

Tanya Holland, 55, Küchenchefin und Inhaberin des modern Soul-Food bietenden Restaurants Brown Sugar Kitchen sowie des B-Side BBQ im kalifornischen Oakland, die einen Bachelor-Abschluss in russischer Sprache und Literatur sowie das Diplom der französischen La Varenne École de Cuisine hat, wurde als erste schwarze Köchin in den Vorstand der James Beard Foundation gewählt. Die widmet sich auf alle modernen medialen Weisen und mit Stipendien der Förderung der Kochkunst; ihre alljährlich verliehenen Auszeichnungen haben kulinarisches Pulitzer-Preis-Prestige. Frau Holland sieht ihre Hauptaufgabe in einem immer heftiger beklagten Problem schwarzer Köchinnen: ihren „frustrierenden Versuchen, in der Welt der Gourmetküche voranzukommen“ (New York Times). Sie fühlen sich nicht gefördert und gefordert, durch rassistische und geschlechtsspezifische Vorurteile daran gehindert, Führungsrollen zu übernehmen, und durchweg schlechter bezahlt als nicht schwarze Kolleginnen. Tanya Holland machte sich 2008 aus Frust über mangelnde Förderung selbstständig, fand kalifornische Anerkennung als Koch und Unternehmerin des Jahres – und erlebt als Chefin andere Formen der Diskriminierung: Es fällt ihr schwer, gute Mitarbeiter zu finden, weil sie als schwarze Autorität skeptisch gesehen wird, und sie wird bei Verhandlungen über kulinarische Projekte oft gefragt, ob sie sich das überhaupt zutrauen könne. Das Engagement in der James Beard Foundation wollte sie zunächst aus Resignation über ihren Berufsalltag nicht übernehmen, sagte sich aber: „Wenn ich aufhöre zu kämpfen, wie kommt dann die nächste Generation dorthin?“

Foto: Brown Sugar Kitchen

PIERRE GAGNAIRE ERKLÄRT DIE WELT

Pierre Gagnaire, 70, der 1996 in St-Etienne als erster Dreisternekoch in Konkurs ging, seit 1998 in Paris wieder drei Sterne und derzeit 16 Restaurants bis hin nach Las Vegas und Tokio hat, erklärte zu Weihnachten in der französischen Tageszeitung Libération die kulinarische, politische und gesellschaftliche Welt, u.a. so:

  • „Wenn es keine militärische Ordnung gibt, dann gibt’s ein Durcheinander. Die fehlt auch in unserer Gesellschaft, wie man an den Auswüchsen des Kommunitarismus sieht, wo man alles diskutiert, alles in Frage stellt.“
  • „Ein Tritt in den Hintern, zerstört der ein Leben? Tun wir heute nicht zu viel in die andere Richtung?“
  • „Später kam die molekulare Küche auf, wenn wir da keine Sphären machten, waren wir draußen. Es war wunderbar, weil dieser Ferran Adrià (der große Koch der molekularen Küche) ein Genie ist; aber Adrià, nicht die Anderen! Die Presse bemächtigte sich des Themas, das tut weh. Heute passiert das mit dem Gemüse, wenn wir Kartoffeln servieren, sind wir nicht mehr in!“
  • „Wenn heute der arme Koch keinen Garten auf seinem Dach hat, wenn er keinen Honig und zwei Liter Olivenöl macht, dann ist der Typ ein Blödmann!“

Foto: Relais & Châteaux

FILMREIF: ANDRE UND PAM CHIANG

Andre Chiang, 44, im Restaurant Andre in Singapur einer der meist gehypten Köche Asiens, bittet nun in seiner Geburtsstadt Taipeh mit weltweit selten erreichter Authentizität zu Tisch: In seinem Raw ist alles taiwanesisch – Produkte, Mitarbeiter, Ambiente und (soweit das einem weltläufigen, kreativen Koch möglich ist) Gerichte. Dazu musste er sich mächtig disziplinieren: Er lernte bei seiner ausgewanderten Mutter in deren chinesischem Restaurant in Tokio kochen, arbeitete dann in Frankreich bei Troisgros, Robuchon, Gagnaire und den Gebrüdern Pourcel. Anschließend bereicherte er die Seychellen mit warmem Foie gras-Gelee in Coulis von schwarzen Trüffeln (seiner ersten eigenen französischen Kreation) und ging 2008 nach Singapur, wo er so (welt)bekannt wurde, dass der dortige Filmemacher Josiah Ng zu einer Dokumentation inspiriert wurde. Am ersten Drehtag gab Chiang abends dass Ende in Singapur bekannt – und kochte Nudelsuppe mit Rindfleisch für seine und die Filmcrew. Die zeigt nun 104 Minuten lang den Umzug nach Taipeh und den dortigen Start des Restaurants Raw, das Chiang-Ehefrau Pam, die in den USA Mode und Interior Design studierte und Chefredakteurin eines Modemagazins war, im Stile der neuen Pariser Bistronomie gestaltete und managt. Eindrucksvoll erläutert und zeigt ihr Mann vor der Kamera seinen im Maia Luxury Resort auf den Seychellen ersonnenen Arbeitsstil, den er aufgrund der prägenden acht Elemente „Octophilosophy“ nennt: Pur, (Meer)Salz, Kochkunst, Süden, Textur, Einzigartigkeit, Erinnerung, Region. Chef Chiang: „50% eines Tellers zeigen kulinarisches Erbe, 50% weisen in die Zukunft.“ Im Raw ergänzt er sein Konzept um die patriotische Mission, das Image der in Asien „nicht geschätzten taiwanesischen Küche“ hochzukochen. Die Voraussetzungen motivieren ihn: „Wir bekommen den ersten Fang von Meeresfrüchten, die nach Japan verkauft werden. Unser Land ist für sein Obst und Gemüse bekannt.“ Der Film unter dem Titel „Andre und sein Olivenbaum“ würdigt auch, dass Chiang zu jener Zeit Küchenchef bei den Pourcels in Montpellier war, als deren Le Jardin des Sens die höchste Michelin-Ehre bekam. Das hatte französische Grandeur: Ohne deren Glanz wäre Montpellier 1998 der einzige Austragungsort der Fußball-WM in Frankreich ohne Drei-Sterne-Lokal gewesen… (2004 wurden sie wieder kassiert).
Foto: Habitusliving.com/Habitus Magazine

NEUER KÜCHENCHEF IM NOMA: STRESS PUR

Kenneth Foong, 31, neuer Küchenchef im weltbekannten Noma, staunte anfangs besonders über Zweierlei. Erstens als gebürtiger Singapurer über seine Berufung, da „die besten Restaurants weltweit euro-zentrierte Restaurants sind, die von weißen Köchen geführt werden“. Zweitens über das Arbeitstempo: „Die Gänge kamen so schnell aus der Küche, dass die Gäste nie die Gelegenheit hatten, ihre Handys herauszuziehen oder auf die Toilette zu gehen.“

Foong, der in seiner Heimatstadt im Restaurant André lernte, sich in New York am Culinary Institute of America fortbildete und u.a. im Eleven Madison Park kochte, arbeitet unter Oberaufsicht von Patron und Mitgründer Rene Redzepi eng mit zwei Kollegen zusammen, deren Job in deutschen Küchen nahezu unbekannt ist: dem Fermentationschef Jason White und der Leiterin Forschung und Entwicklung Mette Soberg. Vor seiner Berufung hatte er ein Praktikum gemacht und aufgrund des Drucks, den man im Noma empfinde, „viele schlaflose Nächten und Angst im Allgemeinen. Persönlich wurde mir immer bewusster, wie sich Stress physisch manifestiert“. Den meistert er heute durch Atemarbeit und Meditation, Radfahren und Krafttraining sowie dank seines Wehrdienstes: „Als Offizier in der Armee habe ich viel über Eventualitäten und deren Planung gelernt. Es hat mich gelehrt, gegen Unsicherheit mit sorgfältiger Berechnung und Planung anzugehen, statt die Daumen zu drücken und auf das Beste zu hoffen. “

Sein kulinarisches Credo ließ er sich auf den Arm tätowieren: „Tourne vers demain mais soucieux d’hier“ (etwa: gestalte das Morgen respektvoll gegenüber gestern) – eine Maxime von Pierre Gagnaire, dem Mentor seines Lehrmeisters André Chiang.
Foto: Kenneth Foong

MAN FINDET SCHNELLER, WAS MAN MAG

Rachelle de Vries, 27, Doktorandin an der Universität Wageningen, erarbeitete mit sieben Kollegen in einer wissenschaftlichen Studie die Erkenntnis: „Der menschliche Geist scheint darauf ausgelegt zu sein, kalorienreiche, energiereiche Lebensmittel in unserer Umwelt effizient zu lokalisieren.“

Dafür wurden 258 Testpersonen gebeten, auf einem vorgegebenen Weg durch einen Raum an acht Plätzen das dort ausgelegte Lebensmittel zu verkosten: Äpfel, Erdnüsse, Gurken, Karamellkekse, Kartoffelchips, Melonen, Schokolade oder Tomaten. Parallel konnten 254 Testpersonen in einem anderen Raum das Aroma der Produkte an Wattestäbchen riechen. Die Teilnehmer beider Gruppen glichen sich: je zur Hälfte weiblich und männlich, Durchschnittsalter 28 Jahre, BMI-Index 24). Während ihrer Proben beantworteten sie Fragen nach Geschmack und Konsum. Anschließend gaben sie nebenan auf einer Raumskizze an, wo sich die jeweilige Kost- oder Geruchsprobe befand.

Ergebnis: Die hochkalorischen Lebensmittel wurden von den Essern um 27 und von den Riechern um 28 % genauer lokalisiert. Das räumliche Gedächtnis war nicht von gern oder weniger gemocht, süß oder salzig beeinflusst. Insgesamt konnten die Teilnehmer den Standort der Produkte um 243 % genauer bestimmen als den der Geruchsproben. Ernährungswissenschaftlerin de Vries: „Die Ergebnisse ermöglichen uns einen tieferen Einblick in die Verknüpfungen des menschlichen Denkens bei der Reaktion auf Objekte, die in unserer Evolutionsgeschichte für die Gesundheit relevant waren. Derzeit arbeiten wir daran, weiter zu entschlüsseln, wie genau die durch hochkalorische Nahrungsmittel verursachte Verzerrung des räumlichen Gedächtnisses unsere Auswahl der Nahrungsmittel, die wir regelmäßig zu uns nehmen, oder der Orte, an denen es Nahrungsmittel gibt und die wir regelmäßig aufsuchen, direkt oder indirekt beeinflusst.“ (Die Studie ist in der Oktoberausgabe von Scientific Reports unter dem Titel „Human spatial memory implicitly prioritizes high-calorie foods“ veröffentlicht; Wageningen ist im Times World University Ranking die beste in Holland.)

Das wird Genussmenschen nicht sonderlich überraschen, könnte aber jenen Grünen zu denken geben, die der Menschheit verordnen wollen, was z.B. in Kantinen zu essen sei.
Foto: Wageningen Universiteit

Ryoko Sekiguchi, 49, in Paris lebende japanische Schriftstellerin mit kulinarischem Themensinn, befriedigt in ihrem jüngsten Œuvre die Begeisterung für saisonale Höhepunkte. An denen mangelt es in der Gastronomie, seit die junge Köchegeneration, die sich für besonders kreativ hält, mittels der globalisierten Warenwelt alles tut, um Saisonprodukte durch ganzjährigen Einsatz zu entwerten. Je mehr sie dabei uns Gäste „vom Erleben der Natur abschneidet, desto mehr sehnen wir uns danach, die Jahreszeiten intensiv zu erleben“ (NZZ). Die Autorin serviert in „Nagori. Die Sehnsucht nach der von uns gegangenen Jahreszeit“ das Thema in allen japanischen Facetten. Ihre Heimat kennt in ihrer höchst subtilen Kochkunst nämlich in jeder Saison drei Phasen der Produktreife: Hashiri, Sakari und Nagori (Auftakt, Höhepunkt, Nachhall). Leser, die im Winter frische Himbeeren erwarten und für Sommertrüffel schwärmen, dürften sich beschämt fühlen, die naturverbundenen Genussesser hingegen beglückt. Sie müssen ja Nagori nicht bei jedem Bissen zu wörtlich nehmen und die Wehmut der Trennung beim Vergehen der Jahreszeit als überreif abschmecken… (Die deutsche Ausgabe erschien im Verlag Matthes & Seitz, 18 €.)
Foto: Relais & Châteaux-Magazine

Toruh Nakamura, 36, der seit 2013 im Münchner Werneckhof by Geisel europäische Avantgarde und japanische Tradition zu ganz eigenständigen Geschmackserlebnissen verbandelte und dafür 19 Punkte im Gault& Millau sowie 2 Sterne im Michelin erkochte, letzten Juni arbeitslos wurde, weil seine Patrons die Fortführung des Restaurants unter Corona-Auflagen unwirtschaftlich fanden, und letzten Dienstag als Markenbotschafter in Lexus-Luxuslimousinen einstieg, hat für die nächsten sechs Monate einen neuen Job am Herd. Er bietet ab 1. Oktober ein sechsgängiges Abendmenü in gewohnter Stilistik und Güte im Salon rouge. Der ist in der Münchner Altstadt (Burgstr. 5) in einem 1525 erbauten gotischen Bürgerhaus etabliert, das 1951 nach Kriegsschäden restauriert wurde. Nakamuras Küchen- und Serviceteam blieb nahezu vollzählig beisammen, muss aber in einem halben Jahr dem Hausumbau weichen. (Tel. 21529172, www.salonrouge-muc.de).

André Tienelt, 38, Küchenchef im Hotel Ritter in Durbach bei Offenburg, der im März seinen Michelin-Stern verlor, nachdem das Restaurant Wilder Ritter unter dem wirren neuen Namen [maki:´dan] ein neues Konzept auftischte, lässt sich in den PR-Mitteilungen des Hauses weiterhin Sternekoch titulieren. (Eine in Deutschland durchaus gängige Methode, weil jene Pressedienste, die solche Werbetexte veröffentlichen, alles gedankenlos übernehmen.) Immerhin hat Tienelt, der es noch zum Bib Gourmand für seine 5 bis 20 € kostenden Gerichte brachte, nun einen Kollegen zur Seite, der im März erstmals einen Stern bekam: Daniel Weimer aus dem mittlerweile geschlossenen Oscars des Parkhotels Adler in Hinterzarten.

Heston Blumenthal, 54, einer der kreativsten britischen Köche (Kaviar mit weißer Schokolade; Mandarine aus Gänseleber und Orangen-Gel), der es in seinem Fat Duck in Bay zu drei Sternen und an der University of London zum Ehrendoktor brachte, dachte sich als Inkarnation des traditionellen englischen Frühstücks ein Sandwich aus, das alles enthält, was dem Durchschnittsengländer morgens heilig ist. Es bietet Weißbrot mit Bohnengeschmack, rauchige Schweinswurstbrocken, geräucherten Speck, Ei (aus Freilandhaltung!), kaltgepresste Mayonnaise, Tomaten, Cannellinibohnen in Sauce – und Pilzketchup mit Kaffeearoma. Kreiert für die Supermarktkette Waitrose, die es seit letzter Woche zum Einführungspreis von £ 2,85 und später für £ 3,80 (4,20 €) anbietet. Kann sein, dass sich Blumenthal damit mal wieder einen Scherz erlaubt; denn er verspottete schon mit Schnecken-Porridge oder Sardinensorbet auf Toast den schlechten Geschmack von Landsleuten. Fürs kommende Weihnachtsgeschäft von Waitrose ersann der Starkoch weiße Schokoladenkerzen mit Mandarinengeschmack.
PS: Das unverblümteste Sandwich-Urteil fällte das US-Foodmagazine Eater: „sieht schrecklich aus…Shit… Heston Blumenthal ist im Jahr 2020 eher Marke als Koch.“

Alain Ducasse, 63, führt nach wie vor die Popularitäts-Rangliste der Köche im französischen Internet an (ermittelt per Google und den anderen Suchmaschinen). Ihm folgen Anne-Sophie Pic, Paul Bocuse†, Joël Robuchon†, Pierre Gagnaire, Cyril Lignac, Thierry Marx,  Hélène Darroze  Éric Frechon, Jean-François Piège, Bernard Loiseau†, Michel Guérard, Alain Passard, Yannick Alleno, Guy Savoy. Auf Platz 17 als erster Pâtissier Christophe Michalak, auf Platz 18 als erster Ausländer Gordon Ramsay und auf Rang 35 als erste Ausländerin Nadia Santini.

Sébastien Bras, 48, kocht „weitab von allem“ (FAZ) „auf dem Weg nach nirgendwo“ (New York Times) „in einer trostlosen, gottverlassenen Gegend“ (Arte), die der Pariser Journalist Jörg Zipprick so schmackhaft machte: „eine gallische Postkartenversion der schottischen Highlands“. Bras, der in seinem Le Souquet 6 km von Laguiole (1200 Einwohner und eine renommierte Messerschmiede) wie zuvor sein Vater drei Sterne erreichte, empfindet seine Lage als Standortvorteil: „Gewiss spielt für Menschen, die sich zu Tisch setzen, das Essen eine gewichtige Rolle, aber sie wollen auch einen Ort, eine Gegend, eine Geschichte entdecken, eine Landschaft, die etwas zu erzählen hat.“ Das zum Naturpark erhobene Aubrac erzählt auf 1000 m Höhe, ziemlich genau zwischen Lyon und Toulouse, von bizarren Granitfelsen und grasenden Rindern, einsamen Wäldern und stimmungsvollen Himmeln. Michel Bras und Sohn schafften hier von Kennern der französischen Spitzengastronomie bestaunte Millionenumsätze, sodass sie die Abgeschiedenheit gleichsam zum Markenzeichen erhoben, als sie 2002 auf Hokkaido ein Restaurant eröffneten, „das noch abgelegener als das Aubrac ist und uns die Japaner für verrückt hielten“ (Sébastien Bras). „Jetzt nach dem Lockdown,“ registriert Bras, „scheint unsere geografische Isolation ein noch größerer Trumpf zu sein.“ Sein Vater kam zu Ruhm, als er vor 40 Jahren den lauwarmen Salat „Gargouillou“ kreierte, für den er 18 Gemüse nahm und sie vom Frühjahr bis zum Spätherbst mit insgesamt 350 Kräutern und Gewürzen aromatisierte, und 1981 den Coulant au chocolat ersann, den Dessertkuchen mit warmer, flüssiger Schokoladenfüllung. Michel Bras gilt auch als Erfinder der hingepinselten Saucen- und Püreekleckse auf den Tellern.

Natalie Portman, 39, Schauspielerin (Oscar für „Black Swan“), die in Harvard den Bachelor in Psychologie machte und seit 2009 Veganerin ist, gehört neben Rapper Jay-Z und Talkshow-Ikone Oprah Winfrey zu jenen Begüterten, die Mitte Juli 200 Millionen $ in die schwedische Food Tech-Firma Oatly investierten. Sie produziert und verkauft in 20 internationalen Märkten Alternativen zu Milch, Joghurt, Frischkäse und Aufstrichen. Am bekanntesten ist ihre vegane, cremige fettarme Milchalternative aus Bio-Hafer, die  in der EU aus Sorge um die Kuhbauern nicht Hafermilch heißen darf und deshalb als Hafergetränk, Haferdrink oder – premiumlike – Hafer Barista Edition verkauft wird. Bei einem Vergleich der Stiftung Warentest des Angebots in Deutschland kam die Oatly-Edition gemeinsam mit dem Hafer-Drink classic von Edeka hinter der Haferliebe von Kölln auf Platz 2. Die Produkte mixen entspelzte Haferkörner und Wasser, sind fermentiert (teilweise), homogenisiert und bekommen per Pflanzenöl milchig-weiße Farbe; sie können Süßungs-, Konservierungs-, Verdickungs- und Säuerungsmittel sowie Vitamine, Mineralstoffe (wie Calcium aus Algen) enthalten und durch Ultrahocherhitzung haltbar gemacht werden. Das vor 30 Jahren von schwedischen Wissenschaftlern inspirierte Oatly gehört seit 2016 einem Joint Venture des belgischen Lebensmittelinvestors Verlinvest und des chinesischen Staatskonzerns China Resources. Portman & Cie. sollen als Markenbotschafter vor allem Millennials becircen. Beispielsweise durch solche Infos: Pro Liter Kuhmilch werden 250 Liter Wasser verbraucht, für das vegane Substitut nur 3,4 Liter; Hafermilch erzeuge 69% weniger Treibhausgase und verbrauche 79% weniger Land sowie 61% weniger Energie. Wen da nicht der Hafer sticht…

PUPPEN GEGEN KRISENSTIMMUNG

Patrick O’ Connell, 74, Patron und Küchenchef des Drei-Sterne-Restaurants The Inn at Little Washington am Rande der US-Hauptstadt, will seit der Wiedereröffnung am 29. Mai vermeiden, dass „die Gäste eine Atmosphäre vorfinden, die ihre gegenwärtigen Sorgen bestärkt“. Deshalb setzt er auf die aus gesundheitlichen Gründen freizuhaltenden Plätze 16 Mannequinpuppen, die er aus dem Theaterfundus im Stil der 1940er Jahre kostümiert, an eingedeckte Tische. Sein Service trägt Masken, die mit dem Lächeln von Marilyn Monroe oder George Washington bedruckt sind. O’Connell: „In diesen Pandemie-Zeiten konzentriere ich mich auf das, was ich dem Restauranterlebnis hinzufügen kann, statt auf das, was ich weglassen muss.“ Den Ernst der Lage symbolisiert er aber auch: Auf dem Rücken der Plastikkuh „Faira“, auf dem der Käse von Tisch zu Tisch gebracht wird, ist nun auch ein Plexiglas-Dom befestigt, der zu frommen Wünschen inspirieren soll. Auf die Idee, die leeren Stühle nicht leer zu lassen, wird weltweit gekommen: Im Maison Saigon setzt man alleinessenden Gästen überlebensgroße Panda-Stoffbären hinzu…

Markus Oberhäußer, der seinen Restaurantführer Gusto künftig im Münchner ZS Verlag erscheinen lässt, obwohl der letztes Jahr mit dem Gault & Millau verlegerisch scheiterte, verkündete letzte Woche per Pressemitteilung: „Getestet wird grundsätzlich anonym und unangemeldet unter falschem Namen.“ Zumindest ein Leser dürfte ihm das glauben: ZS-Verlegerdarsteller Jürgen Brandt. Und die Gastronomie kann nun rätseln: Sind Gäste, die sich im Restaurant als Gusto-Tester vorstellen oder bei der Presse- und PR-Agentur des Lokals als Gusto-Tester einen Tisch erbitten, noch in einem alten Trott oder schreiben sie gar keine lobenden Worte in dem Guide? Der testet coronabedingt noch bis Anfang November und erscheint dann brandtaktuell schon am 5. Februar.

Tim Raue, 46, weiß als einer der erfolgreichsten und populärsten deutschen Köche, was Neid ist. Eine seiner Erfahrungen: „Unter den TV-Köchen gibt es mehr Neid als in der Model-WG von Heidi Klum – und wer etwas anderes behauptet, ist nicht ehrlich oder hat gerade eine Kamera vor der Nase.“ Er selbst kann, neidlos, Kollegen sogar unaufgefordert loben. So schrieb er in seiner WamS-Kolumne, dass „Hao Jin mit sehr guten Zutaten wie Steinbutt, Oktopus und Eichelschweinen klassische kantonesische und Sichuan-Gerichte auf ein dermaßen hohes Niveau hebt, dass mir schwindelig wird! Der Steinbutt schwimmt in einem finessenreichen, salzig-umami-intensiven Sojasud. Mit frischem, jungem Ingwer und Frühlingslauch umgarnt er den Gaumen wie ein Seidentuch im Wind. Der gebratene Reis im ‚Jin‘ ist unfassbar gut, leicht klebrig und mit dem perfekten Maß an Würze. Dieser einzigartige Wok-Taste entsteht nur, wenn der Wok glühend heiß ist und sich dadurch ein Röstgeschmack entwickelt, der auch meinen Freunden in Hongkong das entzückte Lächeln der kulinarischen Ekstase ins Gesicht treibt. Die saftige Maishuhnkeule mit geröstetem Chili ist sichuan-würzig und treibt den meisten Gästen den Schweiß auf die Stirn. Ich hatte vor Freude feuchte Augen – für mich das beste chinesische Essen, das ich außerhalb von Hongkong und Singapur hatte!“ Raues Begeisterung gilt dem restaurant-jin.de in München.

Fabian Riedel, 37, dessen Crusta Nova derzeit u.a. aus acht Zuchtbecken in Langenpreising bei München jährlich 1,5 Millionen „White Tiger“ als „Bayerische Garnele“ verkauft, ist auf der Suche nach strategischen Partnern. Sie sollen sein Unternehmen fester als „Marketing- und Vertriebsplattform für Seafood-Marken“ etablieren, deren „Stärke die eindeutige Spezialisierung auf lokale Produktion und Nachhaltigkeit“ ist. Im Sortiment: Zuchtkaviar aus China (von einem deutschen Importeur, der seinen Lieferanten verschweigt). In Paris ist chinesischer Kaviar von Kaluga Queen seit Jahren gefragter als in Peking. Zwar zierten sich die Starköche lange, die Herkunft zu nennen (rühmliche Ausnahme: Alain Ducasse) und drucken die Importeure wie Petrossian das Lieferland auf den Dosen so klein wie möglich. Doch die Güte wird in Frankreich anerkannt, wohingegen „in China die Reichen“, wie Kaluga-Vize Han Lei noch vor kurzem gegenüber der Pariser Tageszeitung LesEchos freimütig zugab, „skeptisch gegenüber heimischen Nahrungsmitteln sind und importierte bevorzugen“ – so auch Le caviar d‘ Aquitaine.

René Redzepi, 42, im Kopenhagener Noma Betreiber der meistgehypten Gastronomie nach dem ebenso hochbejubelten El Bulli des Katalanen Ferran Adria Adrià, degradiert das Restaurant nun zur Weinbar (und verschiebt die vollständige Wiedereröffnung auf St. Nimmerlein). Das muss niemand wundern und zeichnete sich schon ab, als es die kulinarisch obskure Hitparade „The World’s 50 Best Restaurants“ noch als Nr. 1 führte. Damals erwogen Mitglieder der Grandes Tables du Monde, das Noma in ihre Vereinigung der höchstausgezeichneten Restaurants aufzunehmen. Doch die Mehrheit der Mitglieder lehnte ab, weil sie die explizit Nordische Regionalküche für eine Modeerscheinung ohne exzellentes Niveau hielten; Redzepi wollte nicht, weil ihm deren elitärer Ehrgeiz zu weit ging.

Martin Fauster, 48, stolze 14 Jahre lang Küchenchef des Münchner Königshofs bis zur Schließung Silvester 2018 (Wiedereröffnung nach Neubau Ende 2021), will künftig dem Markgräfler Hof in Freiburg mindestens den alten kulinarischen Glanz zurückgewinnen. Der war mal die Nr. 2 hinter dem Colombi, als ihn der Rheinländer Hans-Leo Kempchen führte (zuvor Sommelier im Colombi). Die Weinnase hatte auch Gespür für Trends: Er ließ schon 1987 auch auf Platten anrichten. Die Hofküche verblasste, als die Stadt der badischen Genussfreude entsagte und sich anders gefiel: Kaum irgendwo wird der Müll so verbissenen getrennt und so grün gewählt, nirgends fallen so behaarte Männer, so viele Therapeuten und Liegendradler wie in Freiburg auf.

Nils Henkel, 50, seit 2017 bester Küchenchef im Rheingau und zuvor 17 Jahre auf Schloss Lerbach (davon 11 mit Dieter Müller), verlor zur völligen Überraschung der Szene seinen Job in Johannisberg bei Geisenheim. Dass er nur drei Jahre dort war, sollte nicht erstaunen: Seit die Gastgeber auf Burg Schwarzenstein den Wert eines Gourmetrestaurants für die Hotelauslastung erkannten, hatten sie in den zehn Jahren vor Henkel vier Küchenchefs – keiner berichtete anschließend von einer Passion der Hoteliers für die Gourmandise. Henkel geht ins Bootshaus des neuen Papa Rhein-Hotels in Bingen, dessen kulinarisches Konzept besagt: „Der Trend geht weg von den Gourmetrestaurants hin zu Bistroküchen mit authentischer, gesunder Küche nach bestem Handwerk.“ Sein Nachfolger auf Schwarzenstein ist Nelson Müller aus Essen, dessen kulinarisches Format sich vor allem darin zeigt, als Fernsehkoch einen freundlichen Eindruck zu machen.

Yannick Alléno, 51, mit zehn Michelin-Sternen in fünf Restaurants ausgezeichneter Küchenchef (jeweils drei im Alléno in Paris und im 1947 in Courchevel), scheint seine Bedeutung nicht für einen Publikumsmagneten zu halten. Folglich verbrämte er die Eröffnung seines neuen Bistros (in prächtiger Lage an den grünen Champs-Elysée mit entsprechendem Ausblick) im Parterre unter seiner Alléno-Beletage mit dem Wortgeklingel modernen Marketings. Er ersetzte im Namen das simple i durch ein bedeutungsschwangeres y, das vollmundig verkündete Symbolkraft habe. Es assoziiere das Y in Yannick, das Y in Ledoyen (in dem er berühmt wurde) und das Y in L’Abysse (seiner Sushi-Bar). Braucht man in Paris schon so etwas als nouvelle marque du chef alias chef’s new brand für den Rest der Welt – oder glauben seine PR-Leute, die Furore zu wiederholen, die Ueli Prager ab 1948 in Zürich schaffte, als er sein Mövenpick mit v statt w schrieb?

Lionel Souque, 48, CEO der Rewe Group, verheißt in seinen 3300 Supermärkten „Genuss vom Feinsten für besondere Momente“. Da versteht es sich, dass sein Steinsalz nicht so natürlich ist, wie es jahrhundertelang als Feinstes für die Küche war, sondern „Spuren von Erdnüssen, Gluten, Mandeln, Milch, Sellerie und Senf enthalten kann“. Bibelfeste Kundschaft wird sich mit Matthäus 5,13 fragen: „Wo nun das Salz dumm wird, womit soll man salzen?“ Beispielsweise die Spaghetti und Tortiglioni mit dem Logo von Dolce & Gabbana, bei dessen Anblick im Nudelregal die Frankfurter Allgemeine-Redakteurin Jennifer Wiebking befand, dass „bei Rewe die Frage, ob Luxus noch Luxus ist, wenn es ihn im Supermarkt gibt, natürlich längst hinfällig ist“.